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ÖSTERREICHS NEUTRALITÄT VERPFLICHTET ZUR ABRÜSTUNG

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Hätte die österreichische Bundesregierung ihre neue Sicherheitsdoktrin erst vom Nationalrat absegnen lassen müssen, bevor sie eine Volksbefragung zum Thema Wehrpflicht vom Zaun brach? Gewiss, diese Kritik ist berechtigt, doch in der seit September 2011 vorliegenden Synopse der Regierung heißt es wörtlich:

 

»Konventionelle Angriffe gegen Österreich sind auf absehbare Zeit unwahrscheinlich geworden«. Das ist eine klare Absage an die territoriale Landesverteidigung, und ein lautes Bekenntnis dazu brächte die gesamte ÖVP-Propaganda zur Volksbefragung ins Wanken.

 

Unrecht haben alle jene in Österreich, die in dieser Befragung einen Missbrauch des direktdemokratischen Instruments wittern. Man sollte vielmehr der Regierung Faymann zu ihrem unerschrockenen Mut gratulieren.

 

Das Experiment der Großen Koalition ist ja in der Ersten Republik an eben der Wehrfrage zerbrochen. 1919 hatte der Diktatfrieden von Saint-Germain-en-Laye ein Berufsheer erzwungen. Dem sozialdemokratischen Staatssekretär Julius Deutsch gelang es gerade noch, trotz sechs- bzw. 12jähriger Dienstzeit, viele Freiwillige der Volkswehrmilizen in die Armee zu übernehmen.

 

Als Deutsch per Weisung aber auch noch die Soldatenräte als Personalvertretung integrieren wollte, kündigten die Christlichsozialen, die Vorgänger der ÖVP,  die Zusammenarbeit auf. Nach Neuwahlen zogen die Sozialdemokraten heroisch aus der Regierung aus – »Nicht als Besiegte, als Sieger verlassen wir das Kampffeld der Koalition« – und kehrten zum unermesslichen Schaden aller bis 1945 nicht mehr zurück.

 

Riskiert Österreich 2013, dass sich dieses düstere Kapitel seiner Geschichte als Farce wiederholt? Nein, Rot-Schwarz stellt am 20. Jänner eindrucksvoll die Stabilität der Koalition unter Beweis.

 

Wenn man der Regierung etwas vorwerfen will, dann bitte, dass sie ihre Arbeit strikt an das Ergebnis der Volksbefragung bindet. Weiters, dass der Befragungstext suggeriert, wir hätten noch keine Berufsarmee. Doch das Verteidigungsministerium, eine Institution von kakanischen Ausmaßen, beschäftigt 22.560 Personen  – das sind 17% der Beschäftigten des Bundes (2011). Jeder sechste Staatsdiener der Nation ist bereits ein Berufssoldat oder ein ziviler Angehöriger des Heeres.

 

Zu kritisieren wäre weiters das Ausklammern der Geschlechtergerechtigkeit zulasten der Männer und dass sich die Regierung bisher nicht dazu geäußert hat, ob die Wehrpflicht nun tatsächlich aus der Verfassung gestrichen, oder ob sie – wie in den USA und in Deutschland – nur außer Kraft gesetzt werden soll.

 

Das alles kümmert die aktuelle Diskussion in Österreich wenig; für die Neutralisten im Streit um Berufsheer oder Wehrpflicht kann friedensstiftende Außenpolitik auf der internationalen Bühne mit jedem Stiefel betrieben werden. Warum ist dieser Standpunkt falsch?

 

[1] Alle drei Bestimmungen des Neutralitätsgesetzes (keine Kriegsteilnahme, kein Bündnis, keine fremden Stützpunkte) zielen klar auf die völkerrechtliche Kriegsächtung. Neutralität ist kein schwächliches Konzept der Nichteinmischung oder der humanitären Reparaturkolonne, sie verpflichtet zur kontinuierlichen Arbeit an einer besseren Welt, und das heißt zur Abrüstung.

 

Ein Berufsheer kann schrittweise verkleinert werden, eine Wehrpflichtarmee aber nicht – denn ihr Umfang ergibt sich aus der Mannstärke der Eingerufenen. Wir entscheiden am 20. Jänner also, ob die Demoskopie zur Grundlage der Sicherheitspolitik gemacht werden soll oder nicht.

 

Abrüstung bleibt der Schlüssel zu einer gerechteren Weltordnung. Schwächung allein humanisiert Großmächte. Österreich marschiert nicht mehr an der Seite anderer, im gleichen Schritt und Tritt, und wir haben uns dabei nichts vorzuwerfen! Denn wir sehen im internationalen Strafrecht durchaus mehr als geduldiges Papier.

 

[2] Österreich bindet seine Neutralitätspolitik seit 1955 strikt an ein Mandat der Vereinten Nationen. Warum nun werden Wehrpflichtige zum Zwecke der Friedenssicherung nach der VN-Charta nicht zugelassen? Weil das Völkerrecht die Wehrpflicht als eine allgemeine Bürgerpflicht auffasst, gebunden an die territoriale Verteidigung des Nationalstaates. Sie ist nicht als universeller Friedensdienst interpretierbar; das kollektive Sicherheitsmodell der VN verlangte Berufsarmeen.

 

Die Gefahren des Interventionismus ist von der Kritik benannt worden: dass der Umfang der Krisenreaktionskräfte vergrößert wird; dass eine Berufsarmee ihren Nicht-Einsatz rechtfertigen muss, statt dass die Politik ihren Einsatz rechtfertigen müsste.

 

Das »Theater der Militärmissionen« hat keine Zukunft. Es verwandelt die Welt mit hochmoralischen Argumenten in quasikoloniale Schauplätze. Die Alternative, ob wir Soldaten in Krisengebiete entsenden oder zuschauen ist keine – sie bleibt der Logik des Krieges verhaftet und verengt den Handlungsspielraum der Politik. Militärische Kommandos laufen stets Gefahr, den Dampfkessel der Globalisierungskonflikte völkerrechtswidrig unter Kontrolle zu bringen.

 

Die Aufgabe eines Neutralen kann nie in der Konsolidierung von Imperien liegen. Wir müssen bewaffnete Konflikte in zivile umwandeln und durch mehr Internationale Polizeieinsätze (derzeit gibt es nur fünf in Afghanistan, Palästina, Georgien, Kosovo) innerhalb von rechtsstaatlichen Normen bearbeiten.

 

Österreichs Außenpolitik folgt seit 1955 einem vernünftigen Grundsatz: aufmerksames Nichteinmischen in den Streit anderer, zurückhaltende Begleitung von Konflikten, ein Pflaster auf die Krisen der Weltgesellschaft, um den Wahnsinn möglichst fern zu halten. Man nenne das ruhig »Feigheit«! Aber niemanden Angst zu machen, ein gutes Beispiel geben – das sind allemal bessere Tugenden als Dreinhauen.

 

Österreich braucht gegen niemanden militärische Entschlossenheit zu demonstrieren. Darum unterschreibe ich am 20. Jänner den SPÖ-Vorschlag und flüchte mich nicht in eine politikferne Position, die keinen Zusammenhang mehr zwischen dem Neutralitätsgesetz und dem Wehrsystem zu sehen vermag.

 

Mit dem Darabos-Modell des Profiheeres rückt die Außerdienststellung des überholten Bundesheeres einen historischen Schritt näher. Es schafft die gesetzliche Grundlage zur Verkleinerung der Armee. Die immerwährende Neutralität verpflichtet uns auf eine militärfreie Zukunft, in der bewaffnete Einsätze nicht mehr als Entscheidungsmittel von Konflikten angesehen werden.

 

© Wolfgang Koch 2012

 

 

 

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