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Warum lächeln die Menschen in den armen Ländern mehr als wir? – Die Weltreise, Teil 2

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Schon in den ersten Monaten ihrer zweieinhalbjährigen Weltreise waren der Schweizer und die Brasilianerin aus Wien enttäuscht von der Abwesenheit staatlicher Institutionen in großen Ländern Asiens wie etwa Indonesien.

In den USA empfanden Adrian Vonwiller und Ligia Fonseca dann genau das Gegenteil: zuviel Staat, alles unterworfen dem Sicherheitsdispositiv. Der Autor des Reiseberichts macht keinen Hehl aus seiner Abscheu vor den übergriffigen US-Behörden. Der Staat diene dort nur mehr dazu, die Sicherheitsdienste zu finanzieren.

Für einen Europäer sei es eine Zumutung, dass er an der Tankstelle zuerst zahlen muss, bevor er seinen Tank befüllen dürfe. Gegenüber dem Konsumenten, der Masse der Menschen, herrsche in den USA eine Art Generalverdacht.

Die führende Weltnation USA habe auf diese Weise eine Klasse von Outcasts hervorgebracht, Menschen am Rande der mehrheitsfähigen Gesellschaftsform, für welche die fehlende Kreditkarte den Weg zurück in die Mitte versperre. »In Europa klagen wir über den Selbstbehalt, die Kostenbeteiligung, die Krankenkassen vom Patienten verlangen. Davon können Amerikaner nur träumen«.

Freilich geht es unserem Reisepaar auch in Kolumbien kaum besser. Hier beklagen sie nicht Korruption und Armut, sondern, dass sich das Leben in Discos, Boutiquen und auf der Gasse in der eisernen Faust von Koksern befindet. Die »Arschlochdroge« mache aus Freunden garantiert Arschlöcher.

Bei Licht besehen entspricht dieses Hin- und Herschwanken zwischen dem beklagenswerten Fehlen von Staatlichkeit und der Angst vor Protektionismus einem durchaus Wienerischen Standpunkt: Man mag die Polizei nicht sehen, aber sie soll bitte auf der Stelle da sein, wenn man sie braucht. Man hasst Steuerzahlen, aber der Zoll soll bitte das Gepäck der Mitreisenden streng kontrollieren, etc.

Niemand hat es besonders leicht auf dieser Welt, in der die Gefahr bekanntlich nicht mehr von Säbelzahntigern ausgeht und die Umwelt in ständig wechselnden Qualitäten auftritt.

Zu Höchstform läuft  unser Reiseautor auf, wenn er die vertrottelte Welt der Segeljachtbesitzer verspottet. Er bekennt sich zu intensivem Wetter, zu Regen, Wind und Sturm, und als paradiesisch erscheinen ihm im Rückblick vor allem zwei Nationen am Ende der Reise: Kuba und Brasilien.

Kuba, Halleluja!

Paradiesisch sei nicht die ganze Insel, nicht die Castro-Romantik, sondern das Havana Centro, wegen der dort gebotenen Livemusik. Musikalität ist dem Ex-Popsänger Vonwiller ein absolut ehrliches und glaubwürdiges Anliegen.

In der Karibik haben die Weltreisenden endlich  die Kakophonie von dreißig asiatischen und pazifischen Nationen hinter sich gelassen. Rumba, Mambo, Son, Salsa – Vonwillen schiessen die Tränen aus den Ohren! »Wie lange muss ein Musiker in Europa spielen, bis er einen Putzfrauen-Tageslohn zusammen hat?«

Freilich erscheint dieses schwingende Havanna, in dem es von den Wäscheleinen tropft, als ein untergehendes, verschwindendes Paradies. Was der Hype um den Buena Vista Social Club noch nicht zugrunde gerichtet habe, so der Kenner und Liebhaber afrokubanischer Rhythmen, das werde demnächst die Öffnung Kubas für nordamerikanische Touristen und Investoren besorgen.

Dem Buch hätte natürlich ein Lektorat genutzt. Es ist aber nicht nur mit Sprachfehlern behaftet, es enthält auf der anderen Seite auch wahre Finessen, etwa, wenn der Autor sich gegen Dudelpop und eine »krude Hausmeister-Elektronik« wehrt, was nicht nur in Österreich als Seitenhieb auf die DJ-Produzenten Kruder & Dorfmeister gelesen wird.

Was das Buch wichtig und wertvoll macht, ist, dass es dokumentiert, welcher physische und psychische Aufwand, welche Anstrengung heute notwendig ist, um überhaupt noch von individuellem Reisen sprechen zu können. Im Panoramabus in den Anden verklebten die beiden Nonkonformisten die Lautsprecher und hängten einen Pullover über den Videomonitor, um die spektakuläre Fahrt über einen 4.750 Meter hohen Pass noch einigermaßen mit den eigenen Sinnen erleben zu können.

Nach zweieinhalb Jahren um die Welt stellten die Globetrotter fest, was die Tourismuswerbung auch so weiß: Dass in Brasilien der Wald am grünsten ist, das Bier am kühlsten, das Leben am angenehmsten. Allerdings, gibt Vonwiller zu bedenken, ist Datenschutz in Brasilien genauso ein Fremdwort wie in den USA, und die Frauen verfetten in geradezu dramatischem Ausmass.

So müssen sich die beiden netten Weltenbummler am Ende des Trips wieder mit ihrem Europa, in dem es Zugreisen bald nur gegen Vorausbuchungen gibt, versöhnen. Denn nur hier, in Europa, existieren auch Pressefreiheit, Arzt- und Postgeheimnis, ein Recht auf Privatsphäre und ein Recht auf Ruhe.

Vonwiller schlägt vor, die Türen dieses fortschrittlichen Europas weit aufzumachen und frischen Wind reinzulassen. Deutschland soll aus der EU ausgeschlossen und der Euro aufgeweicht werden, um mehr Exportgewinne zu erzielen, und die Türkei soll endlich in den Klub der Volleuropäer aufgenommen werden, weil Fleiß und Engagement der Türken die Mentalitäten aller anderen Mittelmeer-Anrainer um Längen übertreffen.

Ligia Fonseca brachte 16.000 Bilder vom Planeten Erde mit nach Hause. Man hätte der 1978 gebornenen Graphikerin eine bessere Digitalkamera und ihren Fotos einen hochwertigeren Druck gewünscht.

Ansonsten aber erscheint auf meinem bleichen Kritikerantlitz ein verklärtes Lächeln.

© Wolfgang Koch 2015

Adrian Vonwiller und Ligia Fonseca: Supermann im Vogelkäfig. Die politisch-unkorrekte Weltreise. Unartproduktion, Dornbirn 2014, 239 Seiten, ISBN: 978-3-901325-87-8, Euro 22,00.

Foto aus Kuba von Ligia Fonseca

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