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ZEICHEN GEGEN DAS VERGESSEN DER KINDERVERNICHTUNG 1941-45

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Manfred Bockelmann: Ludwina Schmidt, 2010-13, Kohle auf Jute, 150-110 cm / Foto: VBK Wien, F. Neumüller

 

Die hellsten politischen Köpfe sind selten in den Mehrheitsparteien zu finden. Die Wiener Demokraten, eine liberale Splitterpartei des späten 19. Jahrhunderts, hielten im Parlament 1873 gerade mal fünf Sitze. Ihre bürgerlichen Abgeordneten wilderten gerne in Orchideengärten und pflanzten das Unkraut der Freiheit unter den unabhängigen Intellektuellen des Landes. Ihr Wortführer Ferdinand Kronawetter geiselte jahrelang die kaiserliche Polizeiwillkür und kämpfte für das Frauenwahlrecht.

 

Kronawetter beklagte in schönster liberaler Manier, dass die Behörden per Gesetz dazu ermächtig werden das Recht des Hausherrn zu brechen und Hausdurchsuchungen durchführen zu können. Diese Linksliberalen des 19. Jahrhunderts wollten es auch nicht als selbstverständlich ansehen, dass sich Inhaftierte von der Polizei automatisch fotografieren lassen müssen.

 

Das ist eine heute für viele Menschen schwer nachvollziehbare Position. Tatsächlich aber gab es einmal diese frühen Datenschützern, die mit der Würde des Menschen gegen das Fotografieren argumentierten, und die damals pionierhaft jene Haltung verbreiteten, die dazu geführt hat, dass wir heute das eigene Bild auch als schützenswert ansehen. Heute haben wir ja beides chaotisch nebeneinander: den gesetzlichen Persönlichkeitsschutz, das heißt ein behördlich normierte Recht auf das eigene Bild, und die wahllose Knipserei und Filmerei an jeder Ecke. Wir fotografieren praktisch alles.

 

 

Ferdinand Kronawetter sagte 1889 vor dem Reichsrat: »Wo steht es, dass der Mann, der in Untersuchungs- oder Strafhaft oder gar nur in Polizeigewahrsam ist, sich fotografieren lassen muss? Wissen Sie, was das ist? Das ist nach dem Strafgesetzbuch das Verbrechen der Erpressung, und unter den Augen der Regierung und auf ihren Befehl wird von ihren Amtsorganen das Verbrechen der Erpressung begangen, wenn man Jemanden gegen seinen Willen fotografiert«.

 

 

Zum Zeitpunkt, da diese Worte im Parlament fielen, dominierte bereits der Ordoliberalismus im gesamten deutschen Sprachraum. Die erkennungsdienstliche Behandlung von Gefangenen war übliche polizeiliche Praxis geworden und erreichte später im Nationalsozialismus durch SS, Gestapo und Ärzte eine besondere Blüte.

 

 

Unter den mindestens 70.000 Kindern, die im Konzentrationslager Auschwitz getötet wurden, haben die Täter zwei Gruppen fotografiert: 1. die Kinder, die zur »Vernichtung durch Arbeit« bestimmt waren, also zu Sklavendiensten bis zur tödlichen Erschöpfung, und 2. die Kinder, die für die pseudomedizinische Rasseforschung bestimmt waren.

 

 

Manfred Bockelmann – nicht zu verwechseln mit Frank Böckelmann, den genialen Dresdner Autor und Mitherausgeber der Zeitschrift Tumult –  ist freischaffender Künstler mit Wohnsitzen in Kärnten, München und Wien. Der Autor Böckelmann hat uns zu seinem siebzigsten Geburtstag vor zwei Jahren mit einem radikal geistesgegenwärtigen Lexikon beschenkt (»Risiko, also bin ich«).

 

 

Der Künstler Manfred Bockelmann, der im heurigen Jahr Siebzig wird, tritt mit einem gleichfalls bemerkenswerten Werk im Leopold Museum in Wien an die Öffentlichkeit.  Wir scheinen in einer Zeit zu leben, in der würdige ältere Herren vielerorts noch einmal vor ein großes Publikum hintreten wollen, weil sie denken etwas besonders Gewichtiges zu sagen zu haben, oder zumindest etwas, was noch nicht gesagt worden ist.

 

 

Zählen Bockelmann und Böckelmann damit nicht zum selben Phänomen wie der greise, im Februar verstorbene Empörer Stéphane Hessel in Frankreich, oder wie Peppe Grillo in Italien, oder der austro-kanadische Milliardär Frank Stronach, der gerade mit einem Patzen Geld und einer unappetitlichen Portion Paternalismus die österreichische Innenpolitik auf den Kopf stellt?

 

 

Woher kommt dieses späte Aufbegehren der Alten gegen das allgemeine Duckmäussertum, gegen das Falsche in der Politik und im kollektiven Bewusstsein, dieses leidenschaftliche öffentliche Selbstinfragestellen, um authentisch zu bleiben? Ist die High-Heel Antifa in den Weiten des Internets tatsächlich schon untergegangen? Versagen wir Jüngere denn in der Zeitdiagostik, oder was ist da los?

 

(Wird fortgesetzt)

 

© Wolfgang Koch 2013

 

http://www.leopoldmuseum.org/de/ausstellungen/51/manfred-bockelmann

 

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DAS LOS DER DEPORTIERTEN KINDER WAR TOD UND VERGESSEN

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Manfred Bockelmann: Josef Maria Schneck, 2010-13, Kohlezeichnung auf Jute, 150 x 110 cm / Foto: VBK Wien, F. Neumüller

 

Von Hitlers Kindervernichtung 1941-45 lässt sich nicht pathosfrei sprechen, das ergibt sich schon aus dem Koinzidieren von Kindheit und Tod. Entsprechend zurückhaltend wird das Thema in der Fachliteratur behandelt. Allerdings lässt sich auch nicht behaupten, dass es irgendwie vergessen oder tabuisiert wäre.

 

Der offizielle Reader des Staatlichen Museum Auschwitz-Birkenau zum Beispiel widmet zwanzig von 460 Seiten den Lebensbedingungen der jüngsten Häftlinge im Lager, gegliedert nach folgenden Abschnitten: 1. Jüdische Kinder und Jugendliche, 2. Kinder und Jugendliche unter den Zigeunern; 3. Polnische Kinder und Jugendliche, 4. Kinder und Jugendliche aus Weißrussland und der Ukraine, 5. Im Lager geborene Kinder, 6. Das Leben der Kinder im Lager.

 

Jeder auf Aufklärung und Rationalität setzende Umgang mit dem Holocaust wird auf große Gefühle und Melodramatik verzichten. Warum tun es die Kinderportraits von Manfred Bockelmann im Leopold Museum nicht? Vielleicht weil sie der Wirkung des rationalen Diskurses nicht trauen und an seine Stelle ein ikonenhaftes Zeichen zur Erinnerung an das Verbrechen setzen möchten. Welche Erkenntnismythe liegt diesem Werk dann zugrunde?

 

Wir haben zunächst gesehen, dass Bockelmanns Arbeiten den Zwangscharakter der Häftlingsfotografie ignorieren; wir haben weiters gesehen, dass auf der Ebene der psychologischen Motivation des Künstlers eine Familienaufstellung von geradezu epischem Ausmaß mitgedacht werden muss; schließlich hat sich in dieser Untersuchung der neuesten Kultursensation gezeigt, dass sich der Kunstbegriff kaum von einer Museuminstitution dekonstruieren lässt.

 

Wenden wir uns nun zum Abschluss dem bildnerischen Vorgang selbst zu. Kurator Diethard Leopold schreibt: »Die archaische, brüchige, von der Hand des Künstlers geführte Kohle wirkt auf ihre Weise gegen die Kälte und Stabilität der erkennungsdienstlichen Linse, gegen das Mörderische, kein Widerreden duldende Arrangement«.

 

Bockelmann möchte das Kreatürliche der gezeigten Menschen bestätigen, eine »plötzliche Präsenz« der Kinder erzeugen. »So werden aus Namen und Nummern wieder Gesichter, und die Anonymität der Statistik ein Stück weit aufgehoben«.

 

Tatsächlich sehen wir Bilder, auf denen die Kinder und Jugendlichen wie aus einem netten Familienalbum wirken: ein Ausflug in den Prater im Matrosenkostüm könnte das sein, daneben eine Art Bewerbungsbild, und dann wieder ausgemergeltes Elend in Sträflingskleidung mit Nummer und Winkel. Beim Marketing der Ausstellung setzt das Museum ausschließlich auf diese letztere Gruppe der kahlgeschorenen Köpfe.

 

Manfred Bockelmann hat einmal erklärt, seine Berufung zum Künstler auf einer dreimonatigen Fotosafari 1973 durch Ostafrika erfahren zu haben. Ostafrika? Hat nicht der deutsche Ethnologe Leo Frobenius genau diese Weltregion 1933 zum Herzstück einer Kulturtheorie gemacht, die die Ergriffenheit in den Mittelpunkt stellte?

 

Frobenius sprach von einer übergreifenden äthiopischen Kultur Schwarzafrikas, die nicht den Intellekt, sondern das Gemüt anspricht. Der Wille zum Sinn geht dort durch eine romantische Hingabebereitschaft; er verlangt die Fähigkeit, sich von einem Werk emotional ergreifen zu lassen.

 

Wohl seit Jahrtausenden agieren bildende Künstler mit der Arbeitshypothese, ihr Schaffen würde Sinn und Wirklichkeit überhaupt erst konstituieren. Da sie schon Wahrnehmung als einen kommunikativen Akt ansehen, bedeutet Verstehen in der Folge immer relationale Einordnung. Dieses Muster erreicht in der Kunst geradezu ontologische Qualität: Etwas, das sich prinzipiell dem Zeichencharakter entzieht, kann nicht mehr gedacht werden, weil der Gesamtrahmen möglicher Wahrnehmung als kommunizierendes System des jeweiligen Status und der Stellung seiner Elemente gedacht wird.

 

Im vorliegenden Fall heißt das: Noch das erkennungsdienstliche Relikt vergangener staatlicher Verbrechen signalisiert dem Erinnerungsarbeiter späterer Zeiten seinen Platz im Drama der Geschichte. Der Künstler übernimmt eine schamanische, kunstpriesterliche Funktion, indem er für die anderen in den Hades steigt. Genau diesen Gedanken hat Alfred Hrdlicka am Albertinaplatz in der Figur des Orpheus festgehalten.

 

Auf diese Weise verwandelt sich Kunst selbst von der immer neuen Benennung eines Transzendenten, die sie im Abendland lange war, zu einem Begriffscode, in dem Symbolelemente mit ihren eigenen Denotationsräumen spielen: der Künstler als Nichtkünstler, das Vernichtete als Erinnertes, der sinnlich Wahrnehmbare der Zeichnung als das paideumatisch Zugängliche.

 

Einzig dank dieser Erkenntnismythe der Bildkunst kann Bockelmanns Serie »Zeichnen gegen das Vergessen« suggerieren, die Kinder seien ermordet worden, weil sie Kinder waren. Doch das NS-Regime und seine Handlanger haben Kinder und Jugendliche unzweifelhaft aus rassistischen Motiven vernichtet, also weil sie Juden, Slawen oder Roma waren.

 

Diesen Gefallen macht uns der Hitlerstaat nicht, dass er vor den Nachgeborenen als das unbegreiflich Böse dastünde, das sich ohne ein politisches Motiv an den Schutzwürdigen per se vergriffen hat.

 

(Ende der Serie)

 

© Wolfgang Koch 2013

 

http://www.leopoldmuseum.org/de/ausstellungen/51/manfred-bockelmann

 

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WIE DIE GIRAFFE IN DIE UKRAINE KAM – ЯК CAME Жирафа у УКРАЇНІ (I)

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Wolfgang Walkensteiner: What I didn't see in Ukrainian woods, 2013 (1), 200-100 cm / Foto: Walkensteiner

 
Giraffen sind in der zeitgenössischen Kunst ein No-Go. An diesem Umstand trägt ausgerechnet eines der kleinsten Werke des Spaniers Salvador Dalí die Schuld: 1936 malte der Surrealist mit Ölfarbe auf einer gerade mal 35 x 27 cm großen Holzunterlage das berühmte Gemälde Die brennende Giraffe.

 

Die ikonische Qualität dieser Arbeit ist sehr erstaunlich. Das Tier steht bei Dalí ja gar nicht im Mittelpunkt der Darstellung. Hinter zwei theatralischen weiblichen Figuren ist erst im hinteren Teil des Bildes jenes unvergesslicher Exemplar zu sehen, dessen Rücken in lodernden Flammen steht. Und Dalís Giraffe scheint dieser Brand, im Gegensatz zu den beiden schwer ramponierten Frauenkörpern, absolut nichts anhaben zu können – ein Symbol für die ewige, unvergängliche Natur im Kontrast zur Zerbrechlichkeit des Menschen.

 

Dass der in Wien und Kärnten wirkende Künstler Wolfgang Walkensteiner gerne unsentimentale Reisen an Punkte unternimmt, an denen die Erde sich anders dreht, irgendwie  rückartiger, langsamer oder auch kälter, ist Kunstkennern durchaus bekannt. 2010 zum Beispiel brachte der Mann, irregeführt von der Fremde Kasachstans, das Thema des Kometen mit nach Hause.

 

Als Walkensteiner im vergangenen Winter von einer Reise in der ukrainischen Wälder nach Wien zurückkehrte, musste er sich natürlich die neugierige Frage gefallen lassen, was er denn diesmal von seinem Trip mitgebracht habe, und Walkensteiner antwortete spontan: »Na, Giraffen sicher nicht!«

 

Nun  ist Walkensteiner kein nüchterner Zeitgenosse, der nach solchen Dialogen einfach wieder zur Tagesordnung zurückkehren kann. Wäre er so einfach gestrickt, hätte er ja Mittelschullehrer oder Politiker werden können.

 

In einem von der Muse geküssten Menschen ruft auch die kleinste Selbstauskunft noch ein Echo hervor, lässt ihn nachdenklich werden, und in diesem Fall eben so lange, bis Walkensteiner den harten Kampf mit den Dämonen der Kunstgeschichte aufnahm und trotz Dalí berühmter brennender Giraffe sich erstes eigenes Steppentier auf die Leinwand pinselte.

 

Ich erzähle das hier so ausführlich, weil Nichtkünstler, Laien sich häufig nicht erklären können, wie künstlerische Prozesse ablaufen. Die Logik, nach der Werke entstehen, wird meistens von außen angestoßen; der Künstler nimmt geistige Impulse im Dialog mit dem Leben auf; er übt sich darin, der alltäglichen Wahrnehmung einen zusätzlichen Sinn abzutrotzen.

 

Für diesen kaum steuerbaren Prozess ist Walkensteiners Sujetfindung ein gutes Beispiel. Erst einmal ins Werk gesetzt, entfalten die Giraffen nun im Atelier ihr eigenes, wildes Leben. Ein Giraffenkopf liegt obenauf am Haufen der Tonmodelle, zwei Tierschädel verdoppelten sich und wurden aus den Leinwänden herausgeschnitten, drei weitere, großformatige Tiere fügen sich zu einem Triptychon.

 

Walkensteiners Giraffen brennen natürlich nicht. Ihre großen unregelmäßigen Flecken im Fell gleichen eher Kratern oder Geschwüren. Was noch auffällt: Diese Exemplare trotten nicht im Passgang durch die Steppe oder staksen am fernen Horizont herum, sondern recken ohne Torso ihre Hälse wie überdimensionale Tentakeln in den leeren Raum.

 

Ähnlich wie beim Kometen-Motiv unmittelbar vor der Nuklearkatastrophe von Fukushima wird hier an die positiven Verheißungen einer überzeitlichen Natur nur noch mit Schrecken gedacht. Der Mensch taucht, wenn überhaupt, nur mehr in Form eines Totenschädels im jüngeren ŒOEvre des Künstlers auf. Und genau wie der Menwsch erscheint auch die vom Bewusstsein unabhängige Welt der Giraffe als das große Vergängliche.

 

Die klassische Moderne eines Dalí  konnte die Korrelation des Denkens und des Seins, in der wir uns immer schon befinden, der wir uns nicht entziehen können, noch unbeschwert feiert. Walkensteiner entzieht ihr alles Heroische.

 

Um den »Gast als Fremdkörper« soll die nächste Ausstellung kreisen, erzählt der Künstler. Ein ideales Vorhaben, um mit den Giraffen zu verreisen, um sie an jeden beliebigen Ort zu bringen, von dem er sie nicht mitgebracht hat.

 

(Wird fortgesetzt)

 

© Wolfgang Koch 2013

 

http://www.walkensteiner.at/

 

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WIE DIE GIRAFFE IN DIE UKRAINE KAM – ЯК CAME Жирафа у УКРАЇНІ (II)

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Wolfgang Walkensteiner: What I didn't see in Ukrainian woods, 2013 (3), 200-100 cm / Foto: Walkensteiner

Was sind in den letzten Jahren nicht alles für Seltsamkeiten aus Wolfgang Walkensteiners Wunderhorn gepurzelt! Rattenschwänze und Eier, Drachen und Kometen, 2010 sogar das »Schamhaar des Propheten«, das man angesichts von 600 Mädchen und Frauen, die derzeit in Afganistan unter fragwürdigen Vorwürfen in Haft gehalten werden, gerne in Kabul ausgestellt sähe.

 

Und jetzt auch noch Giraffen im Atelier. Das kommt daher, dass dieser österreichische Künstler mehrdeutige Symbole liebt wie ein alchemistischer Rosenkreutzer. Aber man soll sich aber nicht täuschen: Walkensteiners Hermeneutik liegen keine Spintisierereien, sondern diskusives Denken und Reflexion zugrunde.

 

In den nächsten Wochen fliegt dieser Werkblock dorthin, wo die Giraffen dank der Schlagfertigkeit des Künstlers geistig herstammen scheinen: in die ukrainischen Metropole Zhitomir. Dort feiert das, vom österreichischen Kunstsammler Erich Golitsch aufgebaute Unternehmen Eurogold Industries LTD seinen zehnjährigen Betriebsbestand mit einem hochkarätigen Ausstellungs- und Bildungsprogramm.

 

Wolfgang Walkensteiner zeigt in einer Halle der insgesamt 46.000 Quadratmeter umfassenden Fabriksanlage, in der Stehleitern und Bügelbretter für die halbe Welt produziert werden, seine neuesten Temperamalereien, darunter eine Serie von schwebenden Eiern mit Goldglanzeffekt, die Giraffen, ein lila Doppelsignalhorn und viele andere, häufig schwerelos wirkende Fremdkörper in bewegten Welten.

 

So prudentiell diese Kunst auf den ersten Blick auch wirkt, immer wieder gelingen dem Künstler nahezu tagesaktuelle Bezüge zu Wirklichkeit. One Eye Blind zum Beispiel: über die Leinwand schlängelt sich ein strenger Zopf aus drei grünen Strängen, der nicht von ungefähr an das Prachthaar der ukrainische Oppositionspolitiker Julija Timoschenko erinnert.

 

Dass der gute Geograph ein Künstler sein sollte, wissen wir seit Karten gezeichnet werden. Dass der gute Künstler ein begeisterter Reisender sein sollte, lässt sich ebenfalls leicht einsehen. Schließlich kann er nirgends besser die negative Fähigkeit erwerben, mit Ungewissheiten, Rätseln und Zweifeln zu leben, ohne gleich nervös nach Fakten und Begründungen zu greifen.

 

Technisch gesehen wird Walkensteiners Malerei immer flotter. Immer großzügiger zerschneidet er Leinwände und intarsiert Teile von Bild zu Bild. Der Maler spricht von einem »semi-parasitären Charakter des Fremdkörpers« bei diesem Vorgang: »Mit dem Applizieren fremder Teile im Bild überliste ich meinen Hang zum abgestuften Farbauftrag. Es ist der einfachste Weg zu sehen, wie ein Fremdkörper in seinem Umfeld wirkt«.

 

Manche Bilder zeigen bis zu fünf verschieden Eitempera-Techniken: Farbauftrag mit den Fingern, mit der Bürste oder mit dem Pinsel, mal altmeisterlich getupft, mal großzügig verspritzt. Dieser Katalog der Techniken erinnert mich an den Bildtypus der gemalten Bildergalerie, nur dass sich eben statt der Werke dicht und dekorativ arrangierte Bildteile vor mich hindrängen.

 

Dass Giraffen von Österreich in die Ukraine importiert werden müssen, und nicht umgekehrt, das lässt sich übrigens statistisch belegen. Am 6. Juni 2009 hat der norwegische Designer Ola Helland mit seinem Freund Jørgen die fantatische Wette abgeschlossen, bis zum Jahr 2011 eine Million handgemalter Giraffen auf einer Website zu versammeln. Es ging bei dieser sympathischen Wette darum, die Potenz des weltweiten Kommunikationsmittels Internet eindrucksvoll unter Beweis zu stellen.

 

Schon 440 Tage später hatte es Helland mit der Hilfe von freiwilligen Zeichern aus 102 Ländern der Erde geschafft. Die absolut größte Kollektion von Giraffenbildern der Menschheit wächst seither im Netz immer noch weiter. Derzeit können 231 Exemplare aus dem österreichischen Wien und nur eines aus 1 einziges Exemplar aus dem ukrainischen Zhitomir bestaunt werden. Nach dem Sommer dieses Jahres wird das bestimmt anders sein.

 

(Ende der Serie)

 

© Wolfgang Koch 2013

 

http://www.walkensteiner.at/

http://www.onemilliongiraffes.com/

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DAS UNGLAUBLICHE JUBILÄUMSJAHR DES HERMANN NITSCH

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Hermann Nitsch: Brot und Wein, Tempera und Dispersion auf Wandverputz, 150 x 150 cm, 1960, Sammlung Hummel, Wien / Foto: M. Thumberger

2013 feiert der österreichische Künstler und Theaterneuerer Hermann Nitsch, dessen einstiger Mitstreiter aus den Tagen des Wiener Aktionsimus Otto Muehl gestern verstorben ist, seinen 75. Geburtstag. Das Jubiläumsjahr begann für ihn gleich mit einem dramatischen Schicksalsschlag. Während nämlich bei seinem deutschen Malerfreund Georg Baselitz im Mai nur die Steuerfahnder in dessen Villa am Attersee eindrangen, hat in Schloss Prinzendorf im Weinviertel eine professionelle Einbrecherbande vermutlich den Coup ihres Lebens gelandet.

 

Anfang März, und zwar am Tag der Regionalwahlen in Niederösterreich, an dem gewöhnlich die Landeier in Scharen zur Urne schreiten, drangen Unbekannte in den Wohn- und Ateliersitz des Künstlers ein und erbeuteten nicht weniger als 400.000 Euro in bar und Schmuck im Wert von weiteren rund 100.000 Euro.

 

Dieses beträchtliche Vermögen hatte Nitsch für ein weiteres Sechstagspiel des Orgien Mysterien Theaters im Jahr 2014 angespart. Er finanziert seine teils mehrtägigen Aktionsspiele bekanntlich immer aus der eigenen Tasche sowie mit Hilfe von freiwillig mitwirkenden Studenten und Kunstfreunden.

 

Die österreichischen Medien hatten anlässlich des Einbruchs nicht die geringsten Skrupel, den international geschätzten Künstler mit Hohn zu verziehen; wochenlang verwiesen Kommentare und Leserbriefe darauf, dass die kriminelle Bande keine Kunstwerke aus seinem Schloss hatten mitgehen lassen.

 

Dabei ist es auch dem Laien klar, dass sich Nitschs ikonenhaften Schüttbilder als Diebsgut am Kunstmarkt genauso wenig zu Geld machen lassen wie seine einprägsamen Architekturzeichnungen oder Partiturskizzen. Für solche Arbeiten käme nur Art Napping in Frage, also eine Erpressung des Bestohlenen; und das hat in Österreich, seit einem missglückten Versuch nach dem Raub der Saliera aus dem Kunsthistorischen Museum 2003, nie wieder ein Ganove versucht.

 

Nichtsdestotrotz ergießt sich die Häme immer weiter über Nitsch. In der öffentlich-rechtlichen ORF-Sendung »Willkommen Österreich« ätzte das Comedy-Duo Stermann & Grissemann vor schenkelklopfendem Live-Publikum, der Künstler habe sich beim Einbruch in sein Schloss vor Angst in die Hose geschissen und diese dann anschließend an das MUMOK verkauft [Stermann & Grissemann gelten bei österreichischen Chefredakteuren als mutige Entertainer, seit sie eine Teilnehmerin des Songcontests 2012 auf FM 4 als »Altfut« abkanzelten].

 

Für den weiteren Verlauf von Nitschs künstlerischer Karriere sind die Folgen des Einbruchs noch immer nicht abzusehen. Das traditionellen Pfingstfest in Prinzendorf musste ebenso abgesagt werden wie eine große, in Berlin geplante Aktion im Sommer.

 

Ein erstes freudiges Überlebenszeichen gab der Künstler mit einem Relaunche des Nitsch Museums Mistelbach (NMM). Und nicht storniert wurde auch das Dreitagespiel am 21. und 23. Juni im Centraltheater in Leipzig – Nitsch erste Live-Aktion im Osten Deutschlands überhaupt.

 

Bei der 55. Biennale Venedig wird Nitsch heuer in gleich zwei Gruppenausstellungen vertreten sein, wobei ihm erstaunlicherweise die kubanische Nation einen prominenteren Platz als seine Heimat Österreich einräumt.

 

Österreich, das Nitsch längst als Alleinvertreter nach Venedig hätte schicken können, wird einige seiner Werke in der Schau »Personal Structures« im Palazzo Bembo zeigen. Kuba hingegen präsentiert eine Ausstellung unter dem Titel »Die Perversion des Klassizismus: Die Anarchie der Erzählungen« bei der diesjährigen Biennale, und Hermann Nitsch wird dabei in den Räumen direkt an der Piazza San Marco Schüttbilder, Aktionsfotos und Relikte der 135. Aktion in Havanna den antiken Artefakten und Skulpturen des Museo Archeologico gegenüber stellen.

 

(Wird fortgesetzt)

 

© Wolfgang Koch 2013

 

http://www.nitsch.org/index-de.html

 

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DER NEUE BRECHT IN LEIPZIG HEISST HERMANN NITSCH

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Hermann Nitsch: Oedipus, 1990 (30 cm hoch, Gips, Mullbinde, Ölfarbe), Sammlung Hummel, Wien / Foto: M. Thurnberger

Als am 8. Dezember 1923 Bertold Brechts expressionistisches Drama Baal im Alten Theater in Leipzig seine Uraufführung erlebte, war augenblicklich die Hölle los. »Das Theater glich einem Schlachtfeld, als der Vorhang endlich, endlich fiel«, berichteten die Neuesten Nachrichten anderntags: »Zwei Heerhaufen tobten wild gegeneinander. Ich habe die Leipziger nie so völlig außer sich gesehen… Man pfiff und schrie, warf sich Beleidigungen an den Kopf, und wenig fehlte, so hätten Hitzköpfe sich ihre gegenteilige Meinung gegenseitig mit Fäusten demonstriert«.

 

Vieles von dem, was man Brechts antiillusionärem Schauspiel damals öffentlich vorwarf – dass es eine »Pubertäts-Kraftorgie« sei, dass sich darin »Sinnlichkeit ohne Maß« ausgetobt habe, dass auf der Bühne eine um Schnaps und Erotik kreisende »Knabenphantasie entfesselt« worden sei –, stimmt vollkommen mit den Vorwürfen überein, die seit nunmehr fünf Jahrzehnten auf das Orgien Mysterien Theater herabprasseln.

 

Dabei ist Hermann Nitschs Mythenarchäologie doch in jeder aktionistischen Version auf die Bewusstmachung von Sinnlichkeit ausgelegt, Rauschzustände sollen mit großer Zurückhaltung inszeniert, die Exstase als höchste Steigerung der Selbstkultivierung erlebt werden. Dem österreichischen Künstler liegt nichts an Provokation. Er wolle immer nur eine Kunst machen, betont er, die erschüttert.

 

Die Geschichte der großen Spiele des Orgien Mysterien Theaters reicht ein halbes Jahrhundert zurück. Die ersten Ideen und Entwürfe für ein mehrtägiges Aktionsspiel stammen aus dem Jahr 1957. Doch erst bei seiner 40. Aktion in New York 1972 gelang es Hermann Nitsch das Geschehen mit nackten Körpern, Farben und Gerüchen auf zwölf Stunden auszudehnen und die Dramaturgie zu einem Fest mit musikalischen Darbietungen, kulinarischen Genüssen und Spaziergängen in der freien Natur auszuweiten.

 

1974 folgte dann als 50. Aktion das Eintagespiel in Schloss Prinzendorf, dem nun eine Partitur des ersten Tages und der ersten Nacht des geplanten Sechstagespiels zugrunde lang, das also 24 Stunden lang dauerte.

 

Der nächste Schritt war das Dreitagespiel 1984 (80. Aktion). Doch erst weitere 14 Jahre später, 1998, konnte Nitsch sein bisher einziges vollständiges Sechstagespiel realisieren. Es wird im Werkverzeichnis als 100. Aktion geführt.

 

2004 folgte als 120. Aktion ein Zweitagespiel in Schloss Prinzendorf. 2005 die 122. Aktion im Wiener Burgtheater, die nur einen kühlen Abend lang dauerte. Auch die spektakukuläre 135. Aktion im Juni 2012 unter tropischen Palmen auf der Biennale Havanna zählt nur als umfangreiche Lehraktion. Im Grund genommen ist das Dreitagespiel in Leipzig also erst die vierte mehrtägige Realsierung des Orgienmysteriums, und nach dem Beginn im New Yorker Mercer Art Center 1972 das zweite Spiel außerhalb der Mauern von Schloss Prinzendorf überhaupt.

 

Wenn Nitsch nun Ende Juni den Weißwurstäquator gen Norden überschreitet, kommt er nicht alleine. Als Dirigent wirkt der in London lebende Italiener Andrea Cusumano in der Leipziger Festspielarena. Aktive und passive Akteure des Dreitagespiels werden noch bis zum 18. Juni gecastet und proben dann vier volle Tage unentgeltlich bis zur Aufführung.

 

Muss eine Zeit, in der religiöse Eiferer ihr menschliches Hassobjekt mit dem Fleischermesser abschlachten und dann mit bluttriefenden Händen vor die Kamera treten, wie dieser Tage  zum allgemeinen Entsetzen in London geschehen, nicht einen besonderen Ekel vor Fleisch und Blut hervorrufen? Muss denn wirklich noch künstlerisch an einer Ästhetik des Hässlichen gearbeitet werden, wenn sich Grausamkeit dreist und obszön auf der Straße in Szene setzt?

 

Die Antwort ist: ja. Man wird in der Gegenwart keinen Künstler finden, der ernsthafter als Nitsch an einer Theorie der vermischten Empfindungen arbeitet, an intensiven Gesamtkunstwerken, in deren Poesie sich die Hässlichkeit der Form gänzlich verliert.

 

Für Nitsch ist es das Außerordentliche des dioysischen Festes, das dem Leben Sinn und Bedeutung verleiht. Er formuliert damit eine geradezu athletische Haltung der Kultur und des friedlichen Zusammenlebens, die sich mutig mörderischen Possenreißern wie Anders Behring Breivik (2011), Michael Adebolajo und Michael Oluwatobi Adebowale (2013) entgegenstellt.

 

(Wird fortgesetzt)

 

© Wolfgang Koch 2013

 

http://www.nitsch.org/index-de.html

http://www.centraltheater-leipzig.de/

 

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NITSCH MUSEUM VERDÄCHTIGT DEN EIGENEN KÜNSTLER DER PORNOGRAFIE

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Hermann Nitsch: 31. Aktion, München 1969 / Angaben zum bearbeiteten Foto im Katalog »Hermann Nitsch. Sinne und Sein« (Metroverlag): L. Armbruster, L. Hoffenreich, K. Nievers, Atelier Nitsch, M. Thumberger, Vintageprint auf Holzfaserplatte

Hermann Nitschs malerische, musikalische und theatralische Arbeiten als Kunstwerke rechtfertigen zu müssen, ist unnötig; ihr künstlerischer Rang steht in der Kunstszene seit Jahrzehnten nicht mehr zur Debatte. Dass nun dieser Tage ausgerechnet das Nitsch Museum Mistelbach eine Retrospektive zeigt und im dazu aufgelegten Katalog sexualästhetische Aktionsfotos aus dem Jahr 1969 schamhaft verpixelt, das lassen wir allerdings nicht als gut gemeint durchgehen.

 

Die neue Halbjahresschau unter dem Titel »Sinne und Sinn« zeigt im Nitschmuseum eine Reihe von sehr wichtigen Arbeiten des Künstlers aus der Sammlung Hummel, darunter die 1960 auf Wandverputz entstandene Temperamalerei Brot und Wein, sowie mehrere, dreißig Jahre später spektakulär mit Mullbinden und Ölfarbe bearbeitete Gipsobjekte, ebenfalls aus der Sammlung Hummel.

 

Geteilter Meinung dürfte das Publikum über eine Großprojektion in der »Kapelle« des Museums sein, die in Kooperation mit der Ars Elektronica zustande kam. Nitsch hat ja schon vor 15 Jahren festgestellt, dass ihn die »Direktheit und Signalhaftigkeit« von Video-Clips verblüffen. Im neuen Projektionsraum des Museums ist nun die Arbeit mit sinnlich erfahrbaren Wirklichkeiten, zu der Nitsch ja einst angetreten waren, dem kalten Berühren eines Touchscreens gewichen, wobei der Betrachter durch wischende Fingerbewegungen hochauflösende Zeichnungen und Fotos vor sich auf der Wand übereinanderschichten kann.

 

Mit etwas gutem Willen geht das schon in Ordnung, mit etwas gutem Willen verrät auch dieses technisch verspielte Installation das Realitätsprinzip des Orgien Mysterien Theaters nicht. Die Projektionen radikalisieren quasi das grafische Prinzip der Collage, wie es im umfangreichen druckgrafischen Werk von Hermann Nitsch seit Jahrzehnten seine Anwendung findet.

 

Einen unverzeihlichen Fauxpaus jedoch leistet sich Kurator und Herausgeber Michael Karrer im Katalog des Museums. Jeden Kenner dieses Œvres  muss vollkommen klar sein, dass bestimmte frühe Aktionsfotos nicht vor jedem Publikum beliebig ausgebreitet werden können. Im Unterschied zur Pop Art lassen sich im Aktionismus Schaueffekte nun einmal nicht von ihrem kunstphilosophischen Hintergrund ablösen.

 

Erotisch und religiös konnotierten Werke verlangen ein fundiertes Vorverständnis vom Betrachter. Man kann, um dieser Kunst intensiv zu begegnen, sie nicht nur vom Hörensagen kennen – der Museumsbesucher muss behutsam mit ihrer Logik vertraut gemacht werden, die sich wiederum innerhalb der symbolischen Ordnung bewegt.

 

Zu diesem Zweck eignen sich am allerwenigsten Maßnahmen der Selbstzensur. Wer eine künstlerische Arbeit zensuriert, indem er sie ganz oder teilweise unkenntlich macht, handelt im Ausstellungsbetrieb absolut fahrlässig, denn durch Zensurbalken setzt er die Werke ja gerade den Vorwürfen aus, vor denen er sie behüten will: im Fall der 31. Aktion von Hermann Nitsch vom 8. Dezember 1969 sind das die Vorwürfe der Pornografie und der Blasphemie, von denen sich diese Bilddokumente gerade eben Kraft ihrer Definition als Kunst frei gemacht haben.

 

Es stimmt schon, dass Pornografie von ihrer Geschichte her auch einmal einen durchaus emanzipatorischen Zugriff beanspruchen konnte. Von den Dramen des Marquis de Sades über Josefine Mutzenbacher bis zu Pierre Molinier attackierten sexuelle Symbole und Inhalte die sentimentalen Körperbilder als Ideologie, entkleideten die animalischen Triebe des Mernschen ihrer süßlichen Verklärung und zeigten sie nackt. 

 

Doch diese Entkleidung des Körpers war weitgehend mit dem männlichen Blick liiert. Nitsch kennt in seinen sexualästhetischen Arbeiten keinen aufklärerischen Anspruch, der ein normiertes Körperbild attackiert.  Er will auch nicht die Wahrnehmung von Schönheit oder Hässlichkeit erweitern, sondern sie einfach intensivieren.

 

Was also will das Museum Mistelbach in dieser Lage bezwecken, wenn es nun Aktionsfotos rückwirkend dem Pornovorwurf aussetzt?

 

Der sexualisierte Körper ist heute für pornografische Aufklärung absolut nicht mehr tauglich. Das hat erst vor wenigen Tagen Richard Schubarth am Beispiel des Berliner Protestes gegen den Barbiekult in der Tageszeitung Der Standard bestätigt: die Überbabes der Femen, so Schubarth, die ja nicht gerade aussehen wie ukrainische Durchschnittsbäuerinnen, protestieren vor dem Barbie-Museum eigentlich gegen sich selbst. Wer sich für feministische Botschaften mindestens einmal ausziehen muss, um mit Edelbusen Aufmerksamkeit zu erregen, kann sich die Slogans gegen die Konfektionierung des Körpers gleich sparen.

 

Mit der Formensprachen der politischen Selbstentblößung in Berlin und mit die Pornofizierung der Kunst durch Selbstzensur in Mistelbach kuriert man keine Mängel, sondern schafft neue, die man vorher noch gar nicht hatte.

 

(Wird fortgesetzt)

 

© Wolfgang Koch 2013

 

http://www.nitsch.org/index-de.html

http://www.mzm.at/

 

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WIE SCHWER SICH DIE GEGENWART MIT BILDERN VON GESTERN TUT

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Hermann Nitsch: 31. Aktion, München 1969 / Angaben zum bearbeiteten Foto im Katalog »Hermann Nitsch. Sinne und Sein« (Metroverlag): L. Armbruster, L. Hoffenreich, K. Nievers, Atelier Nitsch, M. Thumberger, Vintageprint auf Holzfaserplatte

Der neue Dilettantismus des Nitsch Museum Mistelbach beschränkt sich nicht auf die Zensur von Aktionsfotos. Die in Wien lebende Hanel Koeck, das weibliche Modell der legendären 31. Aktion von 1969, nennt die Bearbeitung der Bilder im Museumskatalog eine »unverschämte Manipulation« – unverschämt aus zweierlei Gründen:

 

Erstens, weil die Verfremdung der Abbildung praktischen allen wissenschaftlichen Standards bei der Dokumentation von Aktionskunst widerspricht, und zweitens, weil dabei auch noch die Autorenschaft der Fotos selbst vernebelt wird, wie Koeck sagt.  

 

Der Museumskatalog zählt nicht weniger als fünf Namen in der Bildlegende auf: Armbruster, Hoffenreich, Nievers, Nitsch und Thumberger (siebe oben). Rechtlich gesehen liegt das Copyright am Aktionsfoto seit dem Tod des Fotografen Ludwig Hoffenreich zu gleichen Teilen beim Künstler Hermann Nitsch und bei Hanel Koecks Partner, dem Kunsthistoriker und theoretischen Wegbegleiter des Wiener Aktionismus Peter Gorsen.

 

Koeck und Gorsen sind seit Jahren im Besitz der zirka 300 Originalaufnahmen der Münchner Aktion und ihre Rechte wurden bei der Wiedergabe der Bilder im Katalog schlichtweg übergangen. Das kunstsinnige Paar hätte der kuriosen Selbstbezichtigung von Verlag und Museums sicher nicht zugestimmt.

 

Die 31. Aktion im Atelier Zimmer in München soll mehr als zehn Stunden lang gedauert haben, sie war für die Öffentlichkeit nicht frei zugänglich. Es waren damals in zirka 20 Personen als Zuseher und Akteure anwesend, darunter der heute vielgeehrte Filmemacher Peter Kubelka und der Übermaler Arnulf Rainer, dem in Niederösterreich seit 2009 ebenfalls ein Künstlermuseum gewidmet ist.

 

Nitsch hat in späteren Jahren wiederholt erklärt, er sei »in erotisch-sexueller Hinsicht« bei keiner Aktion wieder so weit gegangen wie an diesem Dezembertag in München. Dem Geschehen lag eine Partitur zugrunde, an der das weibliche Modell direkt mitgewirkt hat. Das war für die männlich dominierte Kunst des Wiener Aktionismus mehr als ungewöhnlich.

 

Unter Punkt 19 zum Beispiel heißt es im Regiekonzept: »Hanel steckt mir mehrmals den künstlichen Penis tief in den Mund, bis ich nahe daran bin zu erbrechen. Während sie mir den Penis in den Mund stößt, werden dieser und mein Kopf aus einem Kelch mit Blut und aus anderen Gefäßen mit Eidotterschleim beschüttet«.

 

Nitsch trug bei dieser Ekeldusche ein schwarzes Messgewand mit applizierten Weintrauben, schon nach kurzer Zeit kamen auch Gedärme und stark riechende Teerosen mit ins Spiel, am symbolischen Höhepunkt der Aktion tropfte Blut und Schleim über Koecks aufgeklafftes Geschlecht in einen Messkelch.

 

Im Kunstbetrieb werden solche Schockbilder, die sich ja nur kategorial von denen heutiger TV-Shows wie Dschungelcamp unterscheiden, weder Kindern noch unvorbereiteten Erwachsenen gezeigt, und die Selbstzensur im Museumskatalog scheint diesem Prinzip ja irgendwie Rechnung zu tragen. Doch das scheint eben nur so. Vor Ort in Mistelbach, da passt nämlich einfach überhaupt nichts mehr zusammen.

 

In der Restrospektive werden die Aktionsbilder unverpixelt präsentiert, und zwar Tür an Tür mit einer Schau über Punchkrapfen und Gugelhupf (»Süße Lust – Geschichte der Mehlspeise«). Auf der Website des Museums bewirbt man im Moment eine Halloween-Party im Haus. Und es bestehen keinerlei Zugangsbeschränkungen für die Nitsch-Säle; Kinder bis zehn Jahre in Begleitung der Erziehungsberechtigten zahlen ausdrücklich nichts.

 

Hier, in der Museumspublikation also eine betonte Vorsicht, eine kontraprodukrtive Überkorrektheit, die Nitschs künstlerische Positionen kuratorisch ad absurdum führt, und da, im Museumszentrum selbst ein geradezu fröhliches Chaos aus Lebensmittelgeschichte, dem Blut der Verwandlung, aus Starkult und Familienerlebnis.  – Nein, die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang …

 

(Wird fortgesetzt)

 

© Wolfgang Koch 2013

 

http://www.museonitsch.org/

http://www.nitsch.org/index-de.html

 

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WIE ANTWORTET KUNST AUF DIE PORNOFIZIERUNG DER ÖFFENTLICHKEIT?

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Hermann Nitsch: 20. Aktion, Wien 1966 / Foto: G. Helm, Atelier Nitsch, M. Thumberger, Vintageprint auf Leinen

Der Pixelbalken über Aktionsfotos von Hermann Nitsch widersteht der Pornofizierung nicht, sondern ist ein Ausdruck tiefer Ratlosigkeit. Diese neue Form der Selbstzensur konstituiert einen eigenständigen Bereich der Erotika in der Kunst, die wegen der in ihnen dargestellten Sexualität Anstoß erregen könnte. Entspricht das noch der historischen Wahrheit dieser Werke?

 

Es ist richtig, dass die Dokumente performativer Kunst aus den 1960er- und 1970er-Jahren selbstständig am Kunstmarkt bestehen können, in der Rezeption aber dürfen sie nie aus ihrem Entstehungskontext gelöst werden.

 

Peter Gorsen, der bedeutendste Theoretiker des Wiener Aktionismus, kritisierte bereits vor dreißig Jahren einen fatalen Hang der westlichen Öffentlichkeit zur »Scheinsexualität«, also dazu, die nicht sexuell intendierten Kommunikation mit bestimmten sexuellen Signalen der Körpersprache auszustatten. Diese pornografische Kommunikation der westlichen Kultur hat sich seither epidemisch über den gesamten Globus ausgebreitet, hat die islamische Reaktion der Verschleierung mithervorgerufen und sie kehrt nun als politisch-korrekte Prüderie in den Kunstbetrieb zurück.

 

Das Erstaunliche ist, dass man an verschieden Ecken der Erde sehr unterschiedlich auf die Pornofizierung der Bildkultur reagiert. Während der indonesische Popmusikstil Dangdut den enthemmten, »bohrenden« Hüftschwung zum Markenzeichen einer Ästhetik des Exzesses macht, verschanzt sich die Hochkultur im niederösterreichischen Mistelbach schamhaft hinter Pixelbalken.

 

Natürlich ist es möglich, das Orgien Mysterien Theater ein Programm der umfassenden Sexualisierung der Welt zu nennen, doch die darin enthaltene sexuelle Symbolik bleibt immer primär Seinsmystik, eine Vergegenwärtigung der Kontingenz, das Bewusstmachen des Anders-Sein-Könnens der weltlichen Dinge. Der aktionistisch verwertete Nacktsport wird dabei weder unverbindlich symbolhaft noch hermeneutisch unverständlich, und vor einer elitären Aussage über die letztmögliche Abwesenheit eines Grundes – das Grundlose – muss niemand geschützt werden.

 

Was sonst könnte der Sinn sein, Ungesehenes und Unerhörtes zu zeigen, nackte Körper mit Fleisch, Blut und Gedärmen zu kombinieren und quasi rituelle Handlungen zu vollziehen? Um die schreckliche Lust des Augen an den imaginären Vorstellungen von peinigenden und gepeinigten Menschen zu durchkreuzen, verlangt Nitsch einen individuellen und kollektiven Prozess der Selbstkultivierung.

 

Nehmen wir zum Vergleich die rosigen Hautinkarnate bei Peter P. Rubens, in denen zwischen Verdrängung und Wiederbelebung zirkulierende traumatische Erregungszustände eingefroren sind und durch die Kunstgeschichte transportiert werden. Auch in den Aktionen von Nitsch wurden und werden solche Energiekonserven reaktiviert, um die Realität der Einschüchterung durch Repräsentationen erahnbar und diskutierbar zu machen.

 

Die ästhetische Weltverbesserung des Orgien Mysterien Theraters zielt auf Daseinskompetenz, auf das ethische Vertrautsein mit den Grundregeln des Zusammenlebens, auf ein Geistesgegenwärtig-Sein im Dazwischen der menschlichen Beziehungen. Weiters auf ein Innehaltenkönnen im Exzess, um die Fülle des Daseins bewusst zu erleben.

 

Dank solcher, anspruchsvoller Motive können bestimmte Werkteile, unter Bedacht und mit kunsthistorischer Sorgfalt, nur dort gezeigt werden, wo mit einem kunstsinnigen und philosophiewilligen Publikum zu rechnen ist. Das Marketing eines jeden Ausstellungshauses wird solchen Bemühungen naturgemäß in die Quere kommen.

 

Um das Nitsch Museum zu bewerben, braucht es natürlich Bücher und Plakate, Videos und CDs sowie Merchandising-Produkte: vom beliebten Weinviertler Strohhut über Kunstwein im Doppler bis hin zu bedruckten Badetüchern. In der Bundeshauptstadt Wien finden sich überdies erste Schüttmalereien von Hermann Nitsch auf Hauswänden appliziert.

 

All diese Verkaufshilfen der Museumsshops und die Popularisierungsversuche am Bau scheinen einen schier endlosen Raum für dieses Werk zu eröffnen. Doch man täusche sich nicht. Ganze Werkblöcke – die komponierten Symphonien, die philosophischen und die literarischen Schriften sowie eben die Aktionsfotografien und -filme – werden einem breiten Publikum immer verschlossen bleiben.

 

Die Aktionsfotos werden immer eine Gratwanderung auf der Toleranz- und Schamgrenze bleiben, haarfein gezogen zwischen Abbild und Körper. Die Schamlosigkeit diser Bilddokumente macht ja in anhaltender Verkehrung den Betrachter zum Voyeur, der sich entweder beim Ertapptsein ertappt fühlt oder eben die Flucht in die Schamhaftigkeit antritt.

 

Auf diesem Feld durch das Verpixeln der Vagina eine neue Grenze einzuziehen, während der Penis unzensiert bleibt, bringt uns wirklich zum Schmunzeln. Dem neuen Gesamtleiter des Museums, dem Salzburger Kunsthändler Michael Karrer ist die »Selbstfindung in einer hektischen, kommerzialisierten Erlebnisgesellschaft« ein besonderes Anliegen. Nach der ersten Kostprobe seiner »Erforschungen« lässt sich nur sagen: In Mistelbach werden neuerdings Manipulationen vorgenommen, die nicht nur den kunsthistorischen Rang eines Lebenswerkes gefährden, sondern auch dem Verständnis der Kunst insgesamt keinen guten Dienst erweisen.

 

(Ende der Serie)

 

© Wolfgang Koch 2013

 

http://www.mzm.at/

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Wie Alexander Kreise noch einmal das Kino erfindet

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Apparat1

Die Beziehungen zwischen Augsburg und Wien dürften bis zur Schlacht auf dem Lechfeld im Jahr 955 zurückreichen, nach deren Niederlage die feindlichen ungarischen Reiter Gebiete des heutigen Österreich räumten. Seither haben immer wieder kluge Köpfe aus dem Südwesten Bayerns eine Liebe zur Donaustadt entwickelt, aber selten einer so hartnäckig wie der Künstler und Kunstvermittler Alexander Kreise alias Alexander Nickl.

 

Nach einer langen Serie von Interventionen, Mentagrammen und Neoprojektionen wandte sich der öffentlichkeitsscheue Alexander Kreise in den letzten Jahren immer stärker der Miniaturisierung von Innenraumprojektionen zu. Das war nach seiner bisherigen künstlerischen Laufbahn nur konsequent.

 

Die drei neuen, in Salzburg gefertigten Apparate haben die Größe von Sperrholzkästen. Ihr Inneres dient dazu, tausende Handzeichungen früherer Werkphasen als »geistige Bewegungsprozesse« zu visualisieren. Kreise träumt hier den populären Traum der Gegenwart, einen unbekannten Code des menschlichen Bewusstseins im Gehirn zu entschlüsseln – doch er träumt diesen Traum intensiver, poetischer als die Hirnforscher, deutlich von Gerätschaften im Wiener Pratermuseum inspiriert.

 

Blickt man durch das gläserne Einfachokular in das Innere der Sperrholzkästen, zeigen sich tanzende Figuren auf rotierenden Scheiben vor der Projektionsschleife von 500 Mentagrammen. Jedes Werkel arbeitet in einem 240 Volt Netz- und Akubetrieb, um das Schaufeld des Betrachters nach innen zu öffnen. Die bewegte Szenerie wechselt durchschnittlich alle drei bis vier Sekunden.

 

Alexander Kreise wünscht, seine Hirndecke schonungslos vor dem Betrachter aufzuklappen. »Reine Visualisierung ist mir zu wenig. Bild und Ton gehören zusammen, weil ja ein Klang im Bild selbst schon enthalten ist«.

 

Foto: Labor 47

Von Guckkästen fasziniert, sperrt dieser Künstler das Licht heute ein, um Zeichungen und Bilder eines ganzen Jahrzehnts immer neu zu arrangieren und abzuspielen. Was für ein erstaunlicher künstlerischer Prozess: von den Monumentalarbeiten an den Fassaden von Barockkirchen,  Schlössern und Museen, über Projektionen in Öltanks, Gaslagern und in einem Atomkraftwerk hin zu technisch raffinierten Häkeleien mit zartem Licht in einer Holzbox.

 

War das nicht einmal die dunkle Abkunft des Kinos vom Jahrmarkt: dieses anonyme, bevölkerte, wimmelnde Schwarz im Gestank der Hinterhöfe, die Steigerung der Sinne im unheimlichen Schein einer Sonnenfinsternis? War das nicht einst die berühmte Atmosphäre des kollektiven Filmerlebens, bevor sich das Kino in Unterhaltungsmaschinen verwandelte und eine grausame Abfertigungsatmosphäre an einem Ort der Ästhetik einzog?

 

Im leuchtenden Staubwirbel des Projektionsapparates, da erkannte der Kinogeher früher die anderen Gestalten im Zuschauerraum. Wer in Alexander Kreises kleine Lichtforen blickt, wer sein leuchtendes Minimundus betrachtet, wird gelegentlich ein paar Kühe entdecken. Auf sie hat der Künstler 2008 in einem Stall im Allgäu erbarmungslos seinen Scheinwerfer gerichtet und die Tiere damit eingesaugt. Jetzt grasen sie auf Zentimetergröße geschrumpft friedlich im Sperrholzkasten.

 

© Wolfgang Koch 2013

 

Abbildungen: Der Alexander-Mentagraph I / Labor 47

 

Foto: Labor 47

 

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Die Grünen sind die einzige Reformperspektive in Österreich

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Wahlkampf ist Kommunikationskrampf, sei also auf’s Schlimmste gefasst! Als der geniale texanische Anti-Politiker Kinky Friedman vor einigen Jahren als Country-Sänger durch Europa tourte, resümierte er ein Besichtigungsprogramm in Österreich mit den Worten: »In 90 minutes we saw Mozart’s birthplace, Hitler’s birthplace, Arnold Schwarzenegger’s birthplace – the story of mankind in less than two hours«.

 

Mozart, Hitler, Schwarzenegger – exakt diese Bleigewichte der Menschheitstradition lasten auch auf dem Nationalratswahlkampf 2013 und erstickt jeden aufklärerischen Moment schon im Keim. Während Sozialdemokraten, Konservative und Grüne durchwegs auf die Leichtfüßigkeit Mozarts setzen, also mit gutgelaunter Sympathiewerbung und  Allerweltsforderungen (»Arbeit! Kontrolle! Qualität!«) Wähler mobilisieren möchten, schreibt die rechte FPÖ Hitlers identitäre Gedankenbrühe fort. Das nationale Lager setzt diesmal umständlich mit dem Slogan der »Nächstenliebe« auf die Produktivität des Hasses gegenüber Zuwanderern und Asylanten.

 

Und Schwarzeneggers naives Weltverbesserertum? Das wird vom Austro-kanadischen Milliardär Frank Stronach tumultierend fortgeschrieben. Er posiert nackt wie Putin, umgibt sich mit Blondinen und Anhimmlern. Die Idee eines neuen Weltzustandes entfesselter Marktkräfte impliziert bei Stronach die Aktivierung der politischen Verfeindung als Widerstand. Der Tatterpatriarch, der nicht einmal ein einigermaßen korrektes Deutsch spricht, kennt als Habitus nur Unduldsamkeit. Der ganze Staat wird in seinen Augen von »Parteien« und »Berufspolitikern«, die nicht regieren können, in Geißelhaft gehalten. Die Arbeiterklasse habe kapitalistisch zu ticken oder gar nicht.

 

Haben die Österreicher denn keine anderen Sorgen? Kümmern sie die 30 Millionen Arbeitslosen in der Union nicht? Nein, nicht einmal zu Koalitionsaussagen sind Politiker im Land bereit, obwohl sich Werner Faymann (SPÖ) und Eva Glawischnig (Grüne) locker zum Bekenntnis: »Mit allen koalieren wir gerne, außer mit der FPÖ« herablassen könnten.

 

Ganz unverfroren wurde diese zutiefst undemokratische Geflogenheit, das Beschweigen von erwünschten Macht-Optionen, vom ohnehin hoffungslosen KPÖ-Kandidaten Mirco Messner ausgesprochen: »Realistisch ist immer das, was sich dann (am Wahlabend) konkret ergibt«.

 

Die österreichischen Medien berichten keineswegs aus dem Wahlkampf, also über Köpfe und ihre Haltungen, sie gleichen keine Ideen mit Realitäten ab, sondern sie machen selbst Wahlkampf. Zeitungen und Gratisblätter featuren Spitzenkandidaten, deren Parteien die meisten Werbeeinschaltungen im eigenen Anzeigenteil gebucht haben. Und die Interviewer der liberalen Tageszeitung Der Standard versuchen in allerei Kombinationen eloquente Leute zur Vernunft zu bringen, statt vernünftige Leute zum Sprechen.

 

Falter-Chef Armin Thurnher zieht einen angefaulten Begriff aus der Mottenkiste der Kommentatoren und fordert von der politischen Elite des Landes mehr »Würde« zu zeigen. Es mutet aber recht seltsam an, wenn ein Journalist von seinen Frühstückspartnern verlangt, dass sie die Serviette benutzen.

 

Das Enfant terrible der Innenpolitik, Mister Stronach aus den steirischen Weiten Kanadas, kann praktisch jeden Blödsinn in die Öffentlichkeit hinausposaunen. Zum Beispiel, dass es das Ziel der österreichischen Schulpflicht sein müsse, dass der Hauptschulabgänger am Ende eine Steuererklärung ausfüllen kann. Mit Dutzenden solchen Jux-Parolen erobert der Tattermillionär die Herzen jener, die jede Häme gegenüber der politischen Klasse goutieren.

 

Und dennoch ist Stronach gleich mehrfach zu danken: dass er so viele Werbemillionen über Österreich abwirft, dass er die FPÖ zu einer politischen Randgröße degradiert, dass er für alle gut sichtbar die Käuflichkeit der Volksvertreter vor Augen führst, die Dummen zum Abzählen anlockt und dem Versagen der Opposition seinen Namen gibt.

 

Die Geldpartei Stronachs veranstaltet momentan einen politischen Ideenwettbewerb mit der Gewinnsumme von 100.000 Euro und nährt damit gefährliche Illusionen der Machbarkeit. Ein österreichischer Bundeskanzler ist in einer Koalitionsregierung ja kaum mehr als ein schlecht informierter Zuschauer des Weltgeschehens.

 

Monika Lindner, eine Ex-Funktionärin des Staatsfunks, blamierte sich selbst, Stronach und die Medien durch ihrer Kandidatur und einen gleich darauf erfolgenden Rückzug aus dem Team Stronach. Allein, zu dem Zeitpunkt war es bereits zu spät; Lindner kann jetzt ihren Namen von den Listen nicht mehr »zurückziehen«, sie kann nur ihren zukünftigen Verzicht auf das zu erwartende Mandat erklären. Für Österreichs ahnungslose Medien kein Unterschied.

 

Der Poltergeist Stronach akzeptiert übrigens nicht einmal die einfachste Grundregel der demokratischen Pressefreiheit, nämlich die strikte Trennung von Redaktion und Anzeigengeschäft. Er ist ein Aufklärer wider Willen, wie ihn Österreich, und vielleicht Europa, noch nie gesehen hat.

 

Am politischen Himmel hängen aber nicht nur Stronachs Lügen. Erst vor wenigen Tagen behauptete die Kolumnistin Barbara Coudenhove-Kalergi, ernstzunehmende Parteien entstünden in einer Demokratie immer dann, »wenn es im bestehenden Parteienspektrum eine Lücke gibt«. Doch Politik ist nirgendwo ein »Markt«, sie ist ein klar umrissener Machtraum, in dem die Interessen der Gesellschaft nur notdürftig zivilisiert miteinander im Krieg stehen. Das muss eine liberale Dauerschwätzerin natürlich nicht wissen.

 

Sozialdemokratische PolitikerInnen behaupten ohne schamhaft zu erröten, dass erstens Ganztagsschulen in total veralteten Schulgebäuden, zweitens der kostenlose Universitätszugang für Ausländer und drittens die Verlängerung der Familienbeihilfe für Studierende »links« seien. Das ist das alles mitnichten.

 

Ausgerechnet der Grünen-Vize Werner Kogler diffamierte im August den Beamtengewerkschafter Fritz Neugebauer als »schwarzen Klotz«, »Apparatschik« und als »Kuh, die quer im Stall liegt«. Eine solche Dämonierung politischer Konkurrenten wäre vor ein paar Jahren bei den Grünen noch undenkbar gewesen.

 

Eine lebendige politische Kultur bräuchte übrigens auch keine Staatsmedien. Die Grünen versuchen dieser Tage mit einer beauftragten Studien zu belegen, dass sie in Punkto Sendeminuten gegenüber der Regierung benachteiligt sind. Die Studie ergab allerdings auch, dass die FPÖ im ORF doppelt so stark diskrimiert wird wie die Grünen selber.

 

Soviel lässt sich jetzt schon sagen: Der Rückstand der österreichischen Gesellschaft hinter dem zeitgeschichtlich Möglichen, der wird nach dem 29. September bestehen bleiben. Die einzige Reformperspektive, oder sagen wir besser: den letzten Funken Verstand, verkörpert die Grünen-Partei, obwohl sie gerade dort, wo sie in Österreich endlich an die Macht gekommen ist, nur sehr kleine Mäuse gebiert.

 

© Wolfgang Koch 2013

 

 

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Die gewitzte Altersradikalität des Kraftmalers Jürgen Messensee

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Für den österreichischen Maler Jürgen Messensee ist Kunst eine fantastische Möglichkeit des menschlichen Geistes, Erkenntnis zu erlangen. Fantastisch, weil sie eine neue, zusätzliche Realität zu der unserer Gedanken kreiert.

 

Messensee, »gibt zu sehen, was er tut«, hat Elfriede Jelinek einmal gesagt. Er gestikuliert atemlos auf Wänden herum wie das verirrte Kind im Wald. Er schickt seinen Strich auf Todesmärsche, dichtet den Farben eine Baufellentzündung an. Schreie wogen durch den Raum, Beine trommeln auf den Boden. Doch immer »bleibt das Bild das Tun«, verwandelt die hervorbrechenden Destruktivkräfte in trotzige Begeisterung und künstlerisches Hochgefühl, das sich augenblicklich auf den Betrachter überträgt.

 

Ständig torpediert das Formengewitter den intellektualistischen Anspruch auf Erkenntnisgewinn. Die Geschwindigkeit der Zeit wird von Messensee durch Tischkalenderblätter veranschaulicht. Der Künstler unterwirft sie dem Jetprinter, einer digitalen Drucktechnologie, die sie als Überformate auf Karton wieder auswirft. Diese Blow-ups werden dann mit Acryl exzessiv handbearbeitet, auf Fotofolien und kopierten Unterlagen entstehen kontrastreiche Farbwunder, so dass man »Light My Fire« rufen mochte, und: »Give Me Some Of That Good Old Love«.

 

Gestische Präsenz in bester europäischer Tradition, willenstarke Verschiebungen dicker Farbbahnen, ein geradezu rigider Freiheitsdrang, ohne jede schmerzliche Wucht wie bei Hermann Nitsch, appollinisch konzentriert – auch wenn der Künstler von sich sagt, dass er die dionysische Trance braucht, um in einen Zustand des Möglichen und damit der Malerei zu kommen.

 

Bedeutungshuberisches enthalten die Titel. Der Katamaran z. B. steht in Messensees Malkunst für den Geschlechtsakt. — Verbindet denn das berühmte Boot mit dem Doppelrumpf nicht die Spannungseinheit eines Gegensatzes, um auf Kurs zu bleiben? Ist Adam nicht eine Art Voraussetzung für Eva, und umgekehrt? Nun, die Tamilen benennen mit dem Wort Katamaran zusammengebundene Baumstämme, und ein Baum spielt ja auch in der christlichen Schöpfungsgeschichte eine tragende Rolle.

 

Es geht also nicht ohne Bildung und Pathos. Er mache, was mitzuteilen sei, sagt der Künstler. Seine Malereien seien gedankliche Notationen der empfundenen Welt, sie basierten auf einem reflexiv fundiertem Selbstverständnis.

 

Messensee stilisiert sich gerne zum »Außenseiter«, der natürlich einer, der mit der lokalen Nobelpreisträgerin befreundet ist und von wichtigen Galerien vertreten wird, nicht sein kein. Gut, der Mann ist 15 Jahre älter als die Neuen Wilden der 1980er-Jahre. Wie alle Künstler hat er die Neigung, die Aggressivität gegen sich selber zu kehren – auch wo es vielleicht darauf ankäme, sie gegen die wirklichen Feinde zu richten.

 

Doch sich selbst zu vergewissern, über das eigene Leben nachdenken, über das gelebte und das ungelebte, das ist eben ein Bedürfnis, das im Alter einen immer gewaltigeren Stellenwert einnimmt.

 

010Altersradikalität heisst schamlos offen zu sein. Der Mangel an Zukunft lässt dich ungehemmter sehen und das sagen, was dir nicht in den Kram passt. Alter ist nun Mal das Ende jener Illusionen, die durch Zukunftskonformismen entstehen. Rücksichtslos, befreit und unbekümmert, illusionsresistent, produktiv rasend, befreit von jedem Taktgefühl – wir kennen in der Kunst diese fröhliche Depression eines »Malens gegen die Zeit«. Der späte Picasso oder Horst Janssen hingen mit jeder Faser an der Sinnlichkeit, zeigten vitale Bilder ohne jegliche Verklärung, Kopulationen in Großaufnahme.

 

Andererseits hat mir Arnulf Rainer vor vielen Jahren einmal versichert, ein gutes Alterswerk müsse unbedingt in eine Schublade passen. Auch das hat viel für sich. Wer dem Druck der eigenen Vergänglichkeit entgegenarbeitet, muss eine strenge Zeitökonomie entwickeln, Aussagen verdichten, reduzieren.

 

Ist diese Schau etwa gar kein Alterswerk? Nun, bei Messensee ist die Aggression sicher ein vom Alter unabhängigen Ausdruck der Persönlichkeit. Schon sein allererster Katalog, anlässlich einer Ausstellung 1968 in der Galerie Würthle, zeigt ein strenges Formenbewusstsein. Der berserkerische Malgestus der letzten Jahre ist derselben mönchischen Selbstdisziplin unterworfen.

 

Also, Altersradikalität oder nicht? Doch, doch. Man mag sich ja gar nicht vorstellen, wie dieser 77jährige Senior Löcher in Aluminumplatten schneidet und große Flächen nach außen biegt. Auf allen Bildern überdeckt die körperliche Präsenz des Künstlers die geistige.

 

Dass Messensee auf ein Kalenderblatt vom Ostermontag Fleischfarben kleckst – geschenkt. Aber dass er nicht nur Schicht über Schicht aufträgt – grundierte Leinwand, Pastellkritzel, darüber Acryl mit Wischtuchresten –, sondern auch den umgekehrten Vorgang sichtbar macht, das allmähliche Verschwinden der Farbe, indem er verblassende Kalendernotizen dokumentiert, das macht doch mehr Spaß und Sinn als die theorielastigen Knäckebrotreste jüngerer Kollegen.

 

Das sechsjährige Kind, mit dem ich die Ausstellung besuchte, war restlos begeistert. Das wieder erinnert mich an eine Episode auf der langen, langen Reise Mumins von Tove Jansson, in der eben Mumin, Schnupferich und das Snorkfräulein auf Stelzen die Schluchten am Boden eines ausgetrockneten Meeres überqueren. So elegante Stelzen wie im Bank Austria Kunstform haben wir schon länger nicht gesehen.

 

© Wolfgang Koch 2013

 

www.bankaustria-kunstforum.at/

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And the Winner of the Honorary Grave Is… Hairdresser Erich Joham

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Mit dem Wort »kabarettreif« ist man in Wien schnell zur Hand, und zwar immer dann, wenn die Hohlheit einer Zeremonie in der Luft zum Greifen steht und Laudatoren ihre seit Jahren bekannten Sprechblasen abzusondern drohen.

 

Als »kabarettreife Ehrung eines Wiener Originals« bezeichnete Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) letzte Woche die Auszeichnung des Szenefigaros Erich Joham mit dem Silbernen Ehrenkreuz der Stadt Wien. Alles an dieser Feier hatte Show-Charakter: die erschienen Ehrengäste, die Konfettiansprachen, der Medienzirkus.

 

Umzingelt von Fotografen und TV-Teams gab zumnächst der Schauspieler Peter Paul Skrepek den verblichenen, doch unvergessenen Bürgermeister Helmut Zilk am Rednerpult im Rathaus zum Besten. Zilk verkörperte das von dem Bürgerkaiser Karl Lueger im 19. Jahrhundert eingeführte Modell des jovialen Stadtvaters bisher am radikalsten. Das zahlreich erschienene Publikum lachte über typische Zilk-Sätze wie: »Ruhe, bitte! Ich werd Ihnen schon sagen, wenn das Lachen angebracht ist«.

 

Der falsche Zilk ehrte in Erich Joham eine große »Persönlichkeit des Überlebens« und »eine Art Google mit menschlichem Antlitz«. Der stadtbekannte Salonbetreiber, darüber war man sich unter den prächtigen Lustern einig, wird sicher nicht als Friseur in die Geschichte der Stadt eingehen, sondern als geschickter Katalysator ihrer Kultur.

 

Filmautor Peter Patzak erinnerte sich an »geniale Haarschnitte, die unter geistiger Abwesenheit passierten«, nannte den Salon in der Griechengasse »eine Presseausschnittdienststelle« und »eine psychotherapeutische Tagesklinik«, nach derem Tagwerk Joham noch auf nächtliche Hausbesuche zu seinen Kunden gehe. Der Kulturstadtrat wollte im Firmennamen »Er-Ich« gar die Fortschreibung von Sigmund Freuds »Über-Ich-Modell« erkannt haben.

 

Kurz: Man lächelte und lachte komödiantisch, man durchlüftete die Titel- und Ehrungssucht des Wieners mit Klamauk und Selbsttravestie.

 

Woran erkennt man einen echten Wiener? An der  Sehnsucht, auch nach dem unvermeidlichen Ableben weiter geliebt zu werden, am deutlichsten formuliert in dem ortüblichen Wunsch nach einem Ehrengrab der Gemeinde. Ein echter Wiener richtet sich zeitlebens an der Vorstellung auf, dass ihm die Nachwelt die letzte Ehre erweist und sich Leute, die Wangen mit Tränen benetzt, über den verwesenden Leichnam beugen.

 

Alle paar Tage rufen irgendwelche Kulturschaffenden im Büro des Stadtrates an und erkündigen sich in eigener Sache nach einem solchen Monument im Kulturhain der Gruppe 40 des Zentralfriedhofs. »Kein Problem«, gibt Mailath-Pokorny in diesen Fällen bereitwillig Auskunft. »Zur Erteilung eines Ehrengrabes müssen Sie zunächst einmal sterben«.

 

Im Fall des Erich Joham hat die Gemeinde nun erstmals eine spektakuläre Ausnahme gemacht und ihm ein Ehrengrab der Stadt bereits zu Lebzeiten zugesichert. Das scheint uns vollkommen gerechtfertigt! – Erich Joham hält seit Jahrzehnten dem Wiener Hirntod sein offenes Sammlerauge entgegen, er besitzt im kleinen Finger mehr Geist als die meisten Mimenköpfe, die er heimsucht.

 

Der Mann versteht sich als Mäzen, als Talente-Scout und Frühförderer. »Oft ist es so«, sagt er, »dass man nicht weiß, was ist das in meinem Geschäft jetzt ist: ein Casting, ein Kinderg’schnas, ein Heim für Obdachlose oder a Party. I glaub, dass die Leute, die zu mir kommen, auch einen Familienanschluß suchen«.

 

Wer da kommt, ist oft nicht irgendwer: Künstler, Journalisten, Makart’sche Prachtleiber, Mondkinder, strenge Charakterköpfe auf der Beamtenlaufbahn, Werbefuzzis, Unternehmer, unerkannte Genies kurz vor dem Durchbruch, niederträchtige Verleumder, Tagediebe, bösartiger Selbstdarsteller, Hochlandvieher, Gemeindeobere.

 

.,. Und Erich Joham ist in dieser Gesellschaft kein eilfertiger Plaudergeist, sondern ein geschickter Kommunikator, der das richtige Mischungsverhältnis für die Welt draußen sucht.

 

Dieser Exzentriker entzieht sich der allgemeinen Trostlosigkeit des Kommerzes, er kehrt dem Kommerz als Fluch unserer Zeit durch Kunst, Drogen und Society den Rücken. Dabei hat Johams Witz gar nichts Funkelndes; er macht eher Spaß von der Sorte, wie er in den 1950er-Jahren geschätzt wurde, als Wien noch von fremden Armeen besetzt war.

 

Fasziniert von der Schnittstelle zwischen Leben und Tod, flüstert Joham den Mitwienern stets junge Kultur ins Ohr. Bekannt wie Rudolph Moshammer in Bayern, mediengeil wie Silvio Berlusconi und komisch wie Hans Moser trägt er nuschelnd und stottert zur hellsten Gemütentwicklung in Wien bei.

 

Und artig ist Erich Joham natürlich auch. Artig, wie das Lieblingsäffchen der sozialdemokraischen Jeunesse dorée, wollte er sich am Ende seiner eigenen Heiligsprechung beim Stadtrat mit dem Abspielen des obigen Videoclips bedanken. Der g’schamste Diener scheiterte freilich daran, dass niemand die nötige Hardware in den Wappensaal mitgebracht hatte.

 

© Wolfgang Koch 2013

 

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Armin Thurnhers intellektueller Partywirbel zum Thema Würde (I)

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Bei Amazon wird dieses Buch oft zusammen mit Romanen von Ilija Trojanow gekauft. Ein grobes Missverständnis! Armin Thurnher ist fraglos einer der besten und konsequentesten Autoren Österreichs, und er ist klug genug, sich auf Bühnen und Podien, im Fernsehen und im Radio rar zu machen. Sein überragendes Können liegt im nachdenklichen Formulieren: Je knapper, desto treffender.

 

Dieses besondere schreiberische Talent zur kleinen Form macht Thurnhers Bücher quasi automatisch zu Episodenwerken, in denen Tagebuchnotizen und Zeitungsartikel, Glossarisches und Kommentarisches, Sammelsurisches und Bockstößiges zu einem irgendwie symphonischen Ganzen komponiert werden. Entsprechend wechseln Tonfall und Stil alle paar Seiten, Essayistik folgt auf Satire, Witz auf Gelächter, und manchmal auch umgekehrt.

 

Wir vernehmen Thesen zur EU-Finanzkrise, folgen einer launigen Chronik politischer Skandale, stolpern auf Seite 154 über einen ziemlich unkomischen Harald Schmidt, und und und  –

 

Thurnhers Erzählstrom ist sicherlich dort am zwingendsten, wo er Robert Musils berühmten Ratschlag beherzigt, sich nicht als erkennendes, sondern als erlebendes, fühlendes und wollendes Objekt darzustellen. Zu den Glanzpunkten des Buches gehören die Schilderung eines Laptop-Diebstahls, eine Sozialreportage aus dem Weinviertel und die Chronik einer in historischen Etappen gescheiterten Berufstitelverleihung an den Autor.

 

Freilich sollte man auch bei letzterer Passage das Personal der österreichischen Innenpolitik gut kennen, sollte einen Heinz Fischer und sein »krawattenloses Alter Ego«, Bruno Aigner, als physische Gestalten vor Augen haben, um Sätze wie diesen goutieren zu können: »Waren die beiden anfangs fast gleich groß, wuchs der Präsident mit der Würde seines Amtes, während sein Sprecher unter den Pflichten des Amtes leicht zu schrumpfen schien«.

 

Wie jedes mutige Werk enthält auch dieses Buch eine Reihe von mehr oder minder anzweifelbaren Thesen: * dass die digitale Wende als Epochenbruch die Erfindung des Buchdrucks in den Schatten stellt; * dass die Zunahme des Plebiszitären und das Ansteigen von Korruption zusammenhängen; * dass Österreich »durch und durch katholisch« sei; * dass »humanitäre Militärintenventionen« unternommen würden, um für mehr Gerechtigkeit in der Welt zu sorgen (das werden sie eben nicht: sie sollen das Schlimmste abwenden oder beenden, sie wollen den Vertrag auf gegenseitige Indifferenz überwinden … der Ursprung militärischer Interventionen ist, wie Michael Walzer lehrt, nichts als unsere Scham über den Massenmord).

 

Zu bezweifeln wäre weiters, * dass afrikanische Flüchtlinge im Mittelmeer »unter freudlicher Assistenz der italienischen Küstenwache ertrinken«. Und schließlich die Hauptthese des Buches: * dass die Privatsierung der Politik allenorts den Verlust ihrer Würde bedeute. Jeder Staat, behauptet Thurnher, besitzt eine Würde; und in der Hohlheit der öffentlichen Darbietungen unserer Politiker und Medien liege »Entwürdigung«.

 

– Wird fortgesetzt –

 

© Wolfgang Koch 2013

 

Armin Thurnher: Republik ohne Würde. 292 Seiten, Wien: Paul Zolnay Verlag 2013, ISBN 978-3-552-05603-9, TB 17,90 EUR

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Armin Thurnhers intellektueller Partywirbel zum Thema Würde (II)

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Würde? Der Mitbegründer, Miteigentümer, Herausgeber und Chefredakteur der Wiener Wochenzeitung Falter versteht unter diesem Begriff ein Humanum – jene Haltung, die ich gegenüber meinem eigenen Menschsein einnehme. Diese besondere Fähigkeit, sich an sich selbst aufzurichten und Rückgrad zu zeigen, spricht Thurnher allerdings wandernden indischen Saddhus gleich wieder ab; der Hinduismus, sagt er, verfüge über kein Konzept der Würde.

 

Die These vom massiven Gewicht dieses Wertes in der Globalgesellschaft funktioniert nur vor dem Hintergrund einer idealisierten attischen Demokratie. In Anlehnung an Panajotis Kondylis versteht Thurnher Würde als einen natürlichen Ausfluss der Polis – sie verlangt Anmut, Haltung, Selbstdisziplin und den bezwingenden Stil der Vortrefflichen.

 

Wir landen hier in einem weiten, aber gedanklich kaum ausreichend fundierten Assoziationsfeld. Sehr schöne schriftstellerische Vorstellungen wechseln sich ab mit billigen Pointen, wie man sie in Wiener Kabaretthäusern schätzt. Einen  derben Beigeschmack hinterlässt etwa Thurnhers Behauptung, dass schon »das bloße Dasein« von Konkurrenzmedien zu seinem eigenen Unternehmen die Menschenwürde verletzte (Seite 11). Das macht die Debatte unbehaglich.

 

Als ein besonders gelungenes Staatsschauspiel würdigt Thurnher den norwegigen Ministerpräsidenten Jens Stoltenberg, der zwei Tage nach dem Breivikschen Massenmord 2011 unter Tränen sagte, Norwegen bleibe eine offene Gesellschaft.

 

Was war daran würdig? Der Ort, an dem es geschah: eine Kirche? Die Wörter? Die hoheitlichen Tränen angesichts der  Opfer?

 

Nach Thurnhers Logik müsste die von Stoltenberg gerettete Würde in der demnächst zu erwartenden Promotionfeier des Täters als frischgebackener Staatswissenschafter in der Haftanstalt Skien ihren Gipfel erreichen.

 

Wer, bitte, möchte da dem Massenmörder in seiner Studierzelle zuprosten? So tölpelhaft wie ihren norwegischen Ableger hat sich das Ideal einer offenen Gesellschaft bisher wohl kaum jemand vorgestellt.

 

An anderer Stelle kritisiert Thurnher vehement die Idee einer »wehrhaften Demokratie«; sie habe im Kalten Krieg einen Generalvorbehalt gegen Volkssouveränität in Westeuropa eingeführt. Diesem Konzept mangle es an demokratischer Legitmität, sagt er.

 

Das passt leider nur zu gut zum pastoralen Pathos einer mehr um die Gleichheitsrechte ihrer Feinde als um die Sicherheit ihrer Jugend besorgten Demokratie.

 

Müsste es einen guten Essayisten nicht misstrauisch stimmen, wie leicht der Inhalt von Würde durch Begriffe wie Credibility, Majestät, Selbstachtung, Selbstwertgefühl, Sexiness oder Stolz substituiert werden kann? Kinder entwickeln nicht zufällig ein Unwohlsein hinsichtlich ihrer Selbstwürde – sondern weil Erwachsene ein großes Misstrauen gegen ihre Bereitschaft zu kooperieren hegen.

 

Dass das begriffliche Gegenüber von Würde, nämlich Verachtung, absichtvolle Herabwürdigung, eine durchaus wertvolle Alternative zu Hass und Ekel sein könnte, das kommt Thurnher gar nicht erst in den Sinn.

 

Der Band Republik ohne Würde bleibt damit ein hübscher Partywirbel aus intellektuellen Spezialeffekten. Ein ganzes Arsenal an Krachern wird abgefeuert. Doch rückt dieses Feuerwerk der alltäglichen Physik des österreichischen Unglücks irgendwo wirklich zuleibe?

 

Thurnher spricht nie über Gesetzeswerke, die allesamt komplex sind, sondern über Portiere und das Mobilar in Regierungsstuben. Dass Österreichs Politik spart, wo sie dringend regulieren müsste, stimmt natürlich. Aber das Verhältnis von Politik und Medien ist auch in Österreich ein zutiefst symbiotisches, wobei Medienleute ihren Einfluss auf die öffentliche Meinung notorisch überschätzen.

 

Das tun PolitikerInnen selten. Die Volksvertreter der Alpenrepublik vertraut seit eh und je auf der Kraft ihrer persönlicher Präsenz: auf Händeschütteln und Schulterklopfen, auf des unverzichtbare Begrüssungsschnapserls und die unsichtbar lenkende Hand bei der Wohnungsvergabe, bei der Umwidmung von Acker- in Bauland, bei der Job- und bei der Schulplatzsuche.

 

Österreich wird in den stabilen Strukturen dieser korruptionistischen »Bürgernähe« gelebt, gelenkt von einer stets kooperativen Cliquenwirtschaft, organisiert in Seilschaften der Machthaber innerhalb und außerhalb der Parteien, innerhalb und außerhalb der Verwaltung.

 

Hier liegt der austriakische Hund begraben, und nicht im Klüngel der Regierungspitze mit dem Boulevard, den Thurnher unablässig im Auge hat und so beschreibt: »Medien fürchten, dass die Politiker nicht zahlen, Politiker fürchten, dass die Medien nicht stillhalten«.

 

Der Journalist Samo Kobenter hat 1997 von Österreich als einer »Republik der Sekretäre« gesprochen; das traf den Sachverhalt durchaus präziser als die »Republik ohne Würde«.

 

– Wird fortgesetzt –

 

© Wolfgang Koch 2013

 

Armin Thurnher: Republik ohne Würde. 292 Seiten, Wien: Paul Zolnay Verlag 2013, ISBN 978-3-552-05603-9, TB 17,90 EUR

 

 

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Armin Thurnhers intellektueller Partywirbel zum Thema Würde (III)

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Für den Tüchtigkeit-und-Würde-Prediger in Wien ist den bedauerlichen Zuständen in Österreich keine literarische Form angemessener als die Tirade. Kärnten gilt Thurnher als ein einziger gefährlicher Geisteszustand, der Parlamentarismus als eine Art Abfallprodukt im »Land der politischen Gefühle«. Neoliberale und Rechtspopulisten lauert an jeder Ecke, – die Einwohner des Landes: »schweigende Stilversager«, wie Babys eingelullt von einem »politmedialen Komplex«, dem sich einzig und allein der kleine, tapfere Falter Verlag entgegen stemmt.

 

Auf anderen Gebieten hat Thurnher mit seiner aristokratischen These wieder mehr Recht. »Das Leben ist eine Zumutung, eine permanente Despektierlichkeit, eine öffentliche Kränkung«, klagt er laut und vernehmlich. Konkret stören ihn das Grunzen in der täglichen Konversation, die lege Freizeitkleidung der Mitmenschen, die vielen Staus auf der Straße, die Sicherheitskontrollen im Flugverkehr.

 

Detailliert schildert dieser Kritiker die Unterwerfung des heutigen Konsumenten durch die Selbstbedienung im Supermarkt; angefangen von der verlogenen Begrüßung des Kunden bis hin zur entwürdigende Hetze beim Einpacken der erworbenen Ware an der Kassa.

 

Das sind bei Gott keine Privatwehwehchen! Man wird bei dieser Lektüre tatsächlich gewahr, dass wir elementarer Dinge wie Ruhe und Gelassenheit verlustig gehen. Und Thurnher führt uns den Einkauf beim Diskonter nicht nur als die kalte Realität einer Maschine vor, in der Geld über das Angebot gebietet.

 

Er scheut sich nicht auszusprechen – und das unterscheidet ihn von etlichen anderen Autoren –, dass der tägliche Einkaufswahnsinn ja von unseren lieben Mitkunden ohrenbetäubend verstärkt wird. Dort, im Supermarkt, nehmen die schweigenden Stilversager der Gegenwart die bedrohlichen Gestalten von »Blockwarten«, »Dränglern« und »Gaffern« an.

 

Armin Thurnher betreibt also lebendige Gesellschaftskritik, und er macht am Ende des Buches deutlich verstimmt klar, dass die Strategie, diese Zeitdiagnostik auf eine »Österreichkritik« herunterzubrechen, nicht von ihm, sondern vom Verlagsmarketing stammt.

 

Thurnher erzählt meines Erachtens am spannendsten, wo er leidet. Proteisch wendet er sich gegen die Denkverbote der Internetgemeinde, temperamentvoll geißelt er das infame Gezischels der sogenannten Social Media, wo er erneut der »Entwürdigung als Kommunikationsform« nachstellt.

 

Böse Elektronikhändler, zornsäende Callcenter oder Convenience Food – das alles sind aber keine österreichischen Üblichkeiten, vielmehr ist die Ausbeutung des Konsumenten ein über die ganze Welt verbreitetes Phänomen der Massengesellschaft. Das Phänomen einer New Order, die mit dem Aufkommen des privatistischen Individualismus, mit der Orientierung an Lifestyle statt an sozialen Klassen, mit der Kulturalisierung der gesellschaftlichen Lage und der Diffusion des Politischen ins Lebensweltliche hinein gerade erst am Anfang steht.

 

Gewiss, das moderne Leben unter Überwachungskameras ist eine arge Zumutung; aber keineswegs nur in Wien. Nicht die Massengesellschaft ging zu Ende, sondern der Konformismus der Masse, wir vertragen heute jede Normkonfusion.

 

Das macht Thurnhers Idee, sich im Stil eines Dandys von den Zumutungen der Gegenwart abzugrenzen, das macht seinen verzweifelten Versuch, durch das Einfordern von mehr Stil Distinktion zu gewinnen, zu einem hoffungslosen Unterfangen.

 

© Wolfgang Koch 2013

 

Armin Thurnher: Republik ohne Würde. 292 Seiten, Wien: Paul Zolnay Verlag 2013, ISBN 978-3-552-05603-9, TB 17,90 EUR

 

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Österreichs Intellektuelle vor der Nationalratswahl 2013

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In der Alpenrepublik stehen sich zwei große Lager von Intellektuellen gegenüber. [Den Begriff Intellektueller fassen wir hier in christlicher Milde beuschelweich; er umschließt alle Knowledge worker, vom Wissenschafter über Künstler bis hin zum Journalisten, und versandet irgendwo im Unterhaltungsfach].

 

Wenige Tage vor der Nationalratswahl 2013 stehen in Österreich die beiden Lager der Wirrköpfe und der Linkswähler unversöhnlich einander gegenüber.

 

Im prachtvoll herausgeputzen Lager der Wirrköpfe versammeln sich Politikverächter, Bartleys aller Richtungen und die Anhänger von nicht weniger als fünf Rechtsparteien (ÖVP, FPÖ, BZÖ, Team Stronach, Neons).

 

Angeführt werden die Wirrköpfe ausgerechnet von der Ehrenvorsitzenden der Grünen-Partei, Freda Meissner-Blau, die aus Protest gegen eine regionale Schwarz-Grün-Gelb-Koalition in Salzburg ungültig wählen will.

 

Zu den erklärten Rechtswählern zählt weiters der Zirkuspoet André Heller, der in einem Seelenwirbel der Weltphantasie für die nicht im Parlament vertreten Neons votiert, weil diese noch keine Gelegenheit gehabt haben, einen politischen Fehler zu machen.

 

Der Streetlife-Fotograf Paul Albert Leitner, ein weiteres Originalgenie, plädiert wenigstens aus einer praktischen Erfahrung für die Neons. Die sexy, jungen Liberalen haben ihm im Wahlkampf eine pinkfarbene Tragtasche geschenkt.

 

Unter die Wirrköpfe des Jahres 2013 drängt sich auch Christian Rainer, Herausgeber des ehemaligen Nachrichtenmagazins profil. In einem Leitkommentar wirft er der FPÖ an den Kopf, »ausländerfeindlich ohne Maß und Ziel« zu sein.

 

Na, hallo! Hat Rainer in seinem Überdeutsch nicht doch etwas anders sagen wollen? Schwer zu glauben, dass sich der Familienmagazineur nach einer »Ausländerfeindlichkeit mit Maß & Ziel« sehnt.

 

Ein verzeihlicher Lapsus, sagen Sie. – Nein, denn diese Sprachentgleisung hat System. Oder denken Sie auch, eine »von der Spitze abwärts mit rechtsradikalem Gedankengut verseuchte Partei« sei moralisch irgendwie weniger schlimm als eine nur an der Basis verseuchte Partei?

 

Ja, aber so sind sie eben, die erfolgreichen Austro-Intellektuellen! Großmäulig, trinkfest, immer ein Kilogramm Gips in der Tasche, um glatte Fassaden zu verschönern.

 

Worin, fragt man sich, liegt der kognitive Gewinn eines solchen Wahlkampfes? In dem tiefen Einblick, den er in die »Dämonie der Gemütlichkeit« (Hilde Spiel) gewährt?

 

Wenigstens haben die Vertreter eines neuen Radical chic in Österreich kaum einen Ort, ihren Missmut zu äußern. Pseudoprogressive Politikverweigerung á la Slavoj Žižek, Harald Welzer oder Botho Strauß wird man hierzulande vergeblich suchen. Sämtliche Verlags- und Medienhäuser sind von staatlichen Zuwendungen abhängig, Herausgeber und Verleger verscherzen sich nur ungern mit den Fördergebern.

 

Dass das demokratische Begehren heute folgenlos an der kybernetischen Welt abperlt – das kann Österreich kaum wo laut gesagt werden. Kritik an der repräsentativen Demokratie äußert sich allenfalls in der Forderung nach Abschaffung der Zweiten Kammer, des Bundesrates.

 

Viele der 6,4 Millionen zur Wahl aufgerufenen Österreicherinnen und Österreicher erinnern sich mit Entsetzen daran, wie die FPÖ nach ihrer fulminanten Wahlschlappe in Kärnten ausgerechnet den für diese Niederlage verantwortlichen Bundesrats-Kritiker Gerald Dörfer auf einem Bundesratsmandat frühpensioniert hat.

 

Zuletzt wetterte der Kärntner Schriftsteller Josef Winkler wieder einmal gegen diese Doppelmoral der selbsternannten FPÖ-Saubermänner. »Dörfler«, schrieb Winkler unlektoriert, »schlüpfte in den Notnagel des Bundesrates«. Das ist eh richtig; aber wie man in einen Nagel schlüpft, soll uns der hochdekorierte Suhrkamp-Autor doch bitte mal vormachen.

 

Kommen wir zum wenig zuversichtlichen Lager der Linkswähler. Auch hier lassen sich Stamm- und Wechselwähler unterscheiden.

 

In Boulevardblättern melden sich SPÖ-Wähler zu Wort, denen man lieber nicht leibhaftig begegnen möchte: der Thaiboxer Fadi Merza, der Ex-Boxer und Pastor Biko Botowamungo, der Literat Stephan Eibel Erzberg, die Operngröße Birgit Sarata und die am wenigsten komischste aller Kabarettkisten, Dolores Schmidinger.

 

Die Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger, die in einem Interview mit der Süddeutschen gerade davon abgerückt ist, »dass man Kinder dazu aufrufen soll, gegen üble Zustände aufzutreten«, diese Urwienerin wählt ebenfalls wieder Victor Adlers Erben. Elfriede Jelinek täte es bekanntlich sogar, wenn die SPÖ von einem Affen präsidiert würde.

 

Auch Franz Schuh, der blinde Seher vom Schottenring, wählt rot und begründet seinen Nibelungentreue zur SPÖ gleich dreifach: a] mit den drei verbliebenen Intellektuellen in der Arbeiterkammer, b] mit der Reminiszenz an die Gewerkschaft, und c] mit den alten Genossinnen und Genossen, die in Floridsdorf das Bezirksmuseum führen.

 

Die Floridsdorfer Regimenter in Ehren! Ich möchte dem Grammophon-Intellektuellen Schuh aber mal empfehlen, an Pensionistenfahren von SPÖ und der Grünen teilzunehmen und die jeweiligen sozialen Beobachtungen miteinander zu vergleichen. Bei der SPÖ: lauter braungebrannte Gesichter, Frühpensionisten und Korridorsenioren, die sich über Kreuzfahrten im Mittelmeer austauschen. Bei den Grünen: Schlurf & Schlapf, Lumpenakademiker, wirklich Arme & Bedürftige.

 

Alle Jahre wieder schenkt die Trachtenunternehmerin Gexi Tostmann der Ökopartei ihr Vertrauen. Auch der Medientheoretiker Peter Weibel tut das, und zwar ausdrücklich wegen der Aktivitäten des Grünen Kultursprechers Wolfgang Zinggl, der allerdings vor einem Jahr vollkommen ungerechtfertigt den Leiter der Kunsthalle Wien, Gerald Matt, aus seinem Luxusjob gemobbt hat.

 

Die Philosophin Isolde Charim, die gewiss das Richtige wählt, mag ihre Linkspräferenz in der Öffentlichkeit nicht sagen. Dafür verirrt sie sich, die schönen Theorien des Franzosen Claude Lefort bedenkend und wendend, wieder einmal in der weitläufigen Lounge der Kreisky-Villa. »Als Wähler«, raunt Charim, »sind wir nichts anderes als eine Zahl und darin alle gleich«.

 

Genau das Gegenteil ist wahr: Als Wähler haben wir jeder eine Stimme und gebrauchen sie auch diesmal durchaus verschieden.

 

© Wolfgang Koch 2013

 

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Der linke Wechselwähler ist heute verstimmt: Rot oder grün?

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Der linke Wechselwähler ist heute mit dem falschen Fuß aufgestanden. Er muss dringend nachdenken. Soll er sich für die sozialdemokratische Regierungspartei entscheiden oder doch die tugendterroristische SuperSauberFrauGanztagsSchulpartei der Giftgrünen Antikorruptionsliga wählen.

 

Warum nur die beiden? Dem linken Wechselwähler fehlt der Durchblick. Vielleicht weil die Piraten ihre Chance schon im 16. Jahrhundert auf allen Weltmeeren hatten, und die Kommunisten die ihre im 20. Jahrhundert im Sowjetreich. Darum: Rot oder Grün.

 

Und damit er rotgrün regiert wird, denkt der linke Wechselwähler, braucht es eine Mehrheit.

 

Auch in Deutschland hat man Frau Merkel doch praktisch abgewählt. Die CDU/CSU hat sich zu Tode gesiegt und durch eine Wahlrechtsreform ihren Koalitionspartner erwürgt. Die SPD, denkt der linke Wechselwähler, hat nun eine einmalige historische Chance: mit den Grünen und mit der Linkspartei.

 

In Österreich, denkt der linke Wechselwähler, wäre das noch viel einfacher.

 

Nur: die k. u. k. Sozialdemokratie ist lahm, ihre Führung matsch wie eine Herbstbirne. Zwanzig Prozent des Vermögens der Menschheit liegen auf unversteuerten Privatkonten. Doch die SPÖ steht heute für einen absoluten Institutionen-Konservatismus, den Gleichklang der Politik mit den Verwaltungsapparaten.

 

Umverteilt wird von dieser SPÖ gar nichts. Die Löwelstraße schürt nur ständig die Angst der mittleren und der Kleinintelligenz vor dem sozialen Abstieg und legt zugleich alle Aktivitäten der Massen, in Zynismus einseifend, still.

 

Die SPÖ, denkt der linke Wechselwähler, versucht das Land durch Gefühle zu lenken. Hat er nicht gerade die bombastische Bekanntgabe eines Krebsbefundes der Nationalratspräsidentin im Fernsehen gesehen? Nein, der linke Wechselwähler will sich nicht von einem ultimativen Mitleidsakt zwischen Marmorsäulen rühren lassen.

 

Und wäre, denkt der linke Wechselwähler, der schreckliche, psychisch gestörte Vierfachmörder vom Annaberg rechtzeitig in eine Therapie gekommen und in die Invaliditätspension geschickt worden, dann würden heute fünf Menschen und zehn Hirschen noch leben.

 

Der Sozialstaat, denkt der linke Wechselwähler, hat keinen Wert mehr; ausgerechnet der sozialdemokratische Sozialminister hat die Invaliditätspension zu Grabe zugetragen. Das totemistische Blutopfer hat im ländlichen Österreich einen viel höheren Wert.

 

Ein Sozialstaat, denkt der linke Wechselwähler, den die Regierung den Marktmechanismen unterordnet und damit letztlich den Renditeerwartungen der Besitzenden, ist kein Sozialstaat mehr. Ein Sozialstaat wäre das Gegenprinzip zur Verwertungslogik der globalisierten Wirtschaftsordnung, denkt der linke Wechselwähler. Aber Widerstand ist mit den Genossen nicht zu machen.

 

Darum zieht der linke Wechselwähler jetzt die Grünen in Betracht. Doch auch die Politikanten der Grünen, die sich vor Kameras reflexhaft verbiegen, stoßen ihn ab. Die Grünen-Kandidaten lassen sich von den Medien am brutalsten vor sich hertreiben. Sie lassen sich aus dem Handschuhfach eines Autos filmen und witzeln im Fernsehen mit aufgeblasenen Redakteuren herum.

 

Die luxurierende Moralexpansion der Grünen macht den linken Wechselwähler richtig wütend. Die Prosecco-Partie an der Spitze versucht sich im Stil des Rechtspopulisten Jörg Haider (»Evas Wahlkantine«) zu verbreitern.  

 

Nein!, denkt der linke Wechselwähler. Tief in ihren Herzen mögen die Ökos ja  die Übernächsten lieben. In der Realität aber kopieren nur die übelsten Ideen der anderen, plakatieren lachende Politikergesichter mit Kindern und Tieren.

 

Was jetzt? Soll der angewiderte linke Wechselwähler aus Protest rechts wählen? Und wen, rechts? Einen kanadischen Milliardär, der aus den seichten Gewässern seines Konzernunternehmertums in die Bedeutungstiefe der Gesetzesarbeit herüberwechseln will?

 

Oder soll er den gescheitelten Kandidaten der Volkspartei wählen? Die ÖVP, Halbschwester der CDU und Blutsbruder der CSU, schickt ausgerechnet im Land von Bier, Wein & Schnaps einen Kanzlerkandidaten ins Rennen, der nach eigenen Angaben in den letzten zehn Jahren keinen einzigen Rausch erlebt hat.

 

Nein, denkt der linke Wechselwähler. Dann doch lieber die Proseccokiffer.

 

© Wolfgang Koch 2013

 

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Wie ich einmal den Dirigenten George Jackson verpasste

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Warum fühlt man sich unter Neutönern immer irgendwie jünger? Alle paar Minuten würde ich am liebsten die Darbietung unterbrechen und ein beherztes: »Das sehe ich ganz genau so wie Sie!« auf die Bühne rufen. Logisch, dass ich mich keine zwei Mal bitten liess, als der aufstrebende junge Brite George Jackson im Oktober zu einem Konzertereignis in Wien rief.

 

Im dunklen Bario-Saal des Konzerthauses veranstaltete die freundliche Familie der Schnabeltiere bereits zum fünften Mal einen Erstaufführungsmarathon. Hörenswerte Musik, schwatzend wie Schwalben, frei von akademischen Fesseln, in größtmöglicher künstlerischer Freiheit, vorgetragen von den Ensembles KonsPercUssion, Platypus und Gästen.

 

Zu Beginn knisterte ein Schlagwerk des iro-norwegischen Komponisten Eric Skytterholm Egan. Nicht nur Klangmuster brachen da mutwillig ab, behutsam modelten die Tone meinen Geist um, löschten die falsche Erwartung von Sensationen.

 

Als nächstes versammelten sich drei Trommler zu einem Perkussionsstück der Spanierin Julian Àvila Sausor um die Pauken. Der Zeremonialgedanke der Komposition fand im Rieseln kleiner Kügelchen auf die Trommelfelle einen würdigen Schlußpunkt.

 

Es folgte die Multimedia-Session »hinausgehen« von Julian Gamisch, einem Kompositionsschüler meines, ja, ehemaligen Mitschülers Wolfgang Liebhardt. »Ich löse mich vom Klang meiner Fantasie«. Dieser Satz ragte heraus aus dem Gemurmel von Alltagsgeräuschen und Leinwandprojektionen. Die zwölf Minuten vermochten aber nicht auf den theatralischen Effekt von getriebenem Schlagzeug und einer Entkleidungsübung des Rezitators zu verzichten.  

 

Aus Ljubeljana stammt der Komponist Nejc Kuhar, der den nun einmal aufgewirbelten Kosmosstaub mit Sturmglocken und Donner weiter aufrührte. Am überlauten Höhepunkt seines Satzes sollten extreme Lautstärke und Brutalität in den Klang von splitterendem Glas gipfeln. Allein, in punkto Charakter konnte ich an dem Scherbenfall keinen Verfremdungseffekt feststellen. Für meine Ohren fügte sich das exquisite Geräusch von splitterendem Glas vollkommen harmonisch in das Andante ein.

 

Gibt es ein Wort für uneinholbares Hmmmen? Eines für rührendes Kgrrrrrken? Die nordenglische Musikwissenschafterin Lauren Redhead setzte diese und viele andere mezzosopranische Laute punktgenauen Tönen aus der Bassflöte entgegen. Gewiss, die Augenblicke, in denen sie ruhten, vergegenwärtigten sich stärker. Aber auch das Grossreinmachen der klassischen Perioden wollte so noch kein Ende nehmen.

 

Rafael Nassif stammt aus dem brasilianischen Belo Horizonte, was ich bloß des Namens wegen erwähnenswert finde. Dieser junge Komponist steuerte zur zweiten Stunde des Konzert Fragmente bei, welche drei Musiker an Klarinette, Bratsche und Klavier frei arrangierten.

 

Der Pianist Frederik Neyrinck hat bei Clemens Gadenstätter, einen der besten musikalischen Interpreten von Hermann Nitsch, in Graz studiert. Während sich die Übersetzer von Baudelaire-Sonetten die Haare raufen, um zu einem wirklichen Äquivalent des französischen Ausdrucks zu gelangen, während zum Beispiel der Kommunist Ernst Fischer 1947 fragte, ob nun in den gegenständlichen Sonettzeilen von »Niedertracht« die Rede ist, und Carl Fischer 1979 an dieselbe Stelle »Scham und Schande« hinsetze, egal, im Musiksaal wird die schwelgerische Nacht einfach mit subtilen Klangfarben illustriert.

 

In der dritten Stunde des Marathons bekamen wir eine Komposition der Kanadierin Nova Pon zu Gehör. Man stelle sich vor, Jan Garbarek sei zum Frühstück bei Edvard Grieg eingeladen. Die Herren sitzen um ein ovales Tischchen mit Blick auf den Garten, fingern Salzkörner aus einem Schüsselchen und schlürfen abwechselnd den Dotter aus der Schale, statt ihn zu löffeln oder mit Brot aufzutunken.

 

Langsam wurde ich müde. Den Abschluss der Konzertstunden bildeten für mich acht Saxohon-Violoncello-Minuten der Slowenin Alja Zore, die sich die aufregende Theoriefrage stellt, ob die Art und Weise wie wir unsere Gedanken transformieren der Art und Weise gleicht, wie musikalisches Material transponiert wird, mithin, ob die Faszination von Klangwelten in einer neuronalen Entsprechung des Ohres zum menschlichen Gehirn liegt.

 

Nach diesem Act war ich erschöpft, holte mir meine Flügel aus der Garderobe ab und flatterte über das nächtliche Wien nach Hause. Der Auftritt des smarten Dirigenten war erst in der vierten und letzten Stunde des Marathons vorgesehen. Er wird untröstlich sein.

 

© Wolfgang Koch 2013

 

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Wiener Friedhofsführer: Wohin mit der schönen Leiche?

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Um die Friedhofsliteratur ist es in Wien, trotz einer nicht abreissenden Flut von Viennensia, recht traurig bestellt. Auch die folgende Neuerscheinung im Metro-Verlag kann hier keine Abhilfe schaffen; der informierte Friedhofsgeher ist weiterhin auf die zum Teil jahrzehntealten Publikationen von Hans Havelka, Werner T. Bauer und Clemens M. Gruber angewiesen.

Zunächst fragt man sich sogar, was mit einem solchen Überblicksbuch über die derzeit insgesamt 57 städtischen und konfessionelle Leichenäcker in Wien gewonnen ist. Gibt es denn wirklich Leser, die mit Kurzinformationen über die Baugeschichte von Anlagen etwas anfangen können?

Immerhin erfährt man von der jungen Autorin Kerstin Scherabon zwischen den trockenen Fakten eine ganze Menge Bedenkens- oder Wissenswertes: Zum Beispiel, dass es in Wien heute nur mehr drei rein katholische Friedhöfe gibt. Dass sich aus der Mitte der Toten von Kagran immer noch ein echtes Pestkreuz erhebt; eines für die nach 1945 nicht mehr heimgekehrten Kriegsgefangenschaft hingegen in Stadlau.

Das Citybook Friedhöfe in Wien weiss zu berichten, wo genau der erste Tote nach der kurzlebigen revolutionären Josephinischen Begräbnisordnung zur Erde gelassen worden ist: nämlich der Bauer Ferdinand Hofmann am Friedhof Hetzendorf. Wir erfahren, dass am Meidlinger Leichenfeld 1945 über achtzig Bombentrichter gezählt worden sind, und dass am Friedhof Südwest mit besonderen Vergnügen Wechselkröten laichen.

Scherabon erinnert gleich mehrfach an den heute vergessenen Versuch der Stadtverwaltung von 1975, insgesamt 16 der Wiener Friedhöfe aufzulassen, das heisst diese in kinderfreundliche Parkanlagen umzuwandeln. Ein Fortschritt, der damals durch eine Volksabstimmung zunichte gemacht worden ist.

Wir hören, dass am Friedhof Ottakring bis zu einer Anordnung  Josephs II ein Eremit in einer Klause hauste. Dass auf dem längst aufgelassenen Waldfriedhof am Kahlenberg nur Mönche des Ordens der Reurrektionisten beerdigt werden durften.

Wir erfahren, dass sich der einzige erhaltene Karner auf dem Heiligenstädter Friedhof in der Wildgrubgasse befindet. Und dass sich das ehrenhalber gewidmete Grab der Frauenrechtlerin Auguste Fickert [1855-1910] in Neustift am Walde befindet.

Dem Kulturprotestantismus des 19. Jahrhunderts verdanken die Anlage in Inzersdorf und natürlich der Evangelische Friedhof Matzleinsdorf, wo der Kärntner Suhrkamp-Autor Josef Winkler einmal im Sturmwind das Grab des deutschen Dramatikers Friedrich Hebbel gesucht hat, außerordentlich viel.

Leider liest man hier auch wieder, der Komponist Wolfgang Amadeus Mozart sei in einem »Massengrab« bestattet worden. Der betreffende Schacht aber, dessen Lage wir heute nur sehr ungenau kennen, war ein 1791 absolut übliches Gruppengrab, in das eben die Leichen aus verschiedenen Familien gelegt wurden.

Dass der Architekt Clemens Holzmeister beim Entwurf der Simmeringer Feuerhalle 1923 vor allem darauf geachtet habe, das Gebäude »harmonisch in die bestehende Schlossanlage zu integrieren«, halte ich für ein Gerücht. Den internationalen Durchbruch schaffte Holzmeister mit dieser Arbeit durch ganz andere Gestaltungsüberlegungen.

Den Friedhof Simmering als »idyllischen Bergfriedhof« zu bezeichnen, nun, das mag  vor Jahrhunderten gewiss richtig gewesen sein, heute ist das verkehrsumspülte Gelände zirka so idyllisch wie die umliegenden Einkaufsmärkte und Wohnbauten.

Den berühmten Zentralfriedhof betreffend, verweist das Buch auf die dortige mormonische Abteilung und auf 47 Skelette napoleonischer Soldaten. Für ein Grab, »das lediglich aus einem Denkmal besteht«, gibt es ein simples Wort: Scheingrab oder Kenotaph.

Leider fehlt der Autorin auch das richtige Verständnis von »central«, das in der Sepukralkultur rein gar nichts mit der Lage eines Friedhofs zu tun hat; dieses Synonym für nicht- bzw. überkonfessionell geht auf jene politischen Kämpfe des 19. Jahrhunderts zurück, in denen das städtische Bürgertum das Begräbniswesen schrittweise den bis dahin zuständigen Pfarren entwand und alle seine Toten – egal, nach welchem Ritus – innerhalb einer Mauer bestattete.

Was mich dennoch für das Buch einnimmt, ist der Überblick, den es verschafft. Das sind weiters seine Fotoaufnahmen, die z. B. den Altmannsdorfer Friedhof vor der mächtigen Kulisse von Wohnneubauten zeigen, oder die Müllabladeplätze nicht auslassen.

Vielleicht gibt es ja Leser, die einfach nach neuen, ungewöhnlichen Zielen für ihre Spaziergänge suchen. Oder ein lauschiges Plätzchen für den fernen Tag ihrer letzten Ruhe. Als besonders schön und gepflegt hebt dieser Führer vier unter den 57 Friedhöfen Wiens hervor:

Den Parkfriedhof in Ober St. Veit, die Pötzleinsdorfer Leichenanlage in der Starkfriedengasse und den Grinzinger Totenacker an den langen Lüssen. Die schönsten Arkadengrüfte befinden sich angeblich in Hernals. Und die allerwenigsten Grabstellen, nämlich nur 419, zählt man derzeit in Süssenbrunn.

© Wolfgang Koch 2013

Kerstin Scherabon: Friedhöfe in Wien. Der Führer zu schaurig-schönen Orten und Inseln der Ruhe. MetroCitybook, 127 Seiten, ISBN 978-3-99300-143-7, 16,90 EUR

 

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